Jahresthema "Friedensethik"
Einführung in den Thementag
Kreispfarrerin Ulrike Hoffmann führte stellvertretend für die Vorbereitungsgruppe in den Thementag ein. Abgesehen davon, dass die Frage: „Krieg oder Frieden?" unüberhörbar aktuell sei und durch den Zustrom von Kriegsflüchtlingen in unser Land sich immer unabweisbarer stelle, erinnerte Hoffmann daran, dass dieser Thementag auch auf einer Eingabe des „Offenen Arbeitskreises Evangelische Friedensethik" an die Synode basiere.
Nachdem die Synode im Mai 2015 beschlossen habe, einen Konsultationsprozess zur Friedensethik in der oldenburgischen Kirche zu initiieren mit dem Ziel, am Ende konkrete Schritte und Selbstverpflichtungen zu beschließen, sei der Oberkirchenrat mit der Konzipierung, Federführung und Koordinierung des Prozesses beauftragt worden. Der heutige Thementag sei in diesem Sinne eine Auftaktveranstaltung. Impulse zur Weiterarbeit werde Pastor Renke Brahms, der Friedensbeauftragte der EKD und Schriftführer der Bremischen Ev. Kirche, in seinem Vortrag zum Abschluss des Thementages geben.
Die Frage nach einer evangelischen Friedensethik sei kein harmloses Thema, mahnte Kreispfarrerin Hoffmann. Wo immer es auf den Tisch komme, wecke es sofort Emotionen und lasse Verletzungen befürchten. „Damit müssen und sollten wir rechnen, wenn wir zu dieser Frage ins Gespräch gehen." Das Thema habe eine Geschichte, und es habe einen gesellschaftlichen Kontext. Beides berühre das christliche und kirchliche Selbstverständnis im Kern, und es berühre das Verhältnis von Kirche und Staat.
Beim Thema „Krieg und Frieden“ gehe es immer auch um die Glaubwürdigkeit als Christinnen und Christen und als Kirche. „Das macht uns im Gespräch darüber verletzbar. Und: Von der Kirche wird erwartet, dass sie sich zur Sache positioniert. Ob und wie sie das tut, ist von öffentlichem Interesse und wird beobachtet. Das macht uns nervös und angreifbar.“
Zum Weiterlesen: Manuskript der Einführung in den Thementag von Kreispfarrerin Ulrike Hoffmann
Gerechter Frieden als Leitbild evangelischer Friedensethik
„Für die Probleme von Gewalt und Krieg ist allein Friede der Maßstab. […] Krieg bedeutet, prägnant und ohne Abstriche, das Scheitern von Politik. […] In der Zielsetzung christlicher Ethik liegt nur der Friede, nicht der Krieg“ – so hat es der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 1981 in seiner Denkschrift „Frieden wahren, fördern und erneuern“ formuliert. Dieses Zitat stellte der Ev. Militärbischof Dr. Sigurd Rink seinem Auftaktvortrag zum Thementag „Friedensethik“ der Synodentagung der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg voran und erläuterte nachfolgend, wie das Leitbild des gerechten Friedens historisch entstanden ist und sich angesichts wechselnder Herausforderungen weiterentwickelt hat.
Es seien die Schrecken der beiden Weltkriege gewesen, die 1945 alle nationalen Narrative beendet und stattdessen das weltweite Bemühen um Frieden begründet hätten, außer- wie innerkirchlich. So stehe der Wunsch nach Frieden im Zentrum der Gründungscharta der Vereinten Nationen – verbunden mit der Erkenntnis, dass eine Kultur des Friedens nur wachsen könne, wenn die Würde und die Rechte der Menschen geachtet würden, wenn Freiheit und sozialer Fortschritt gefördert, Toleranz zwischen Nachbarn und Rechtssicherheit zwischen den Mitgliedern gewahrt werde.
In ähnlicher Weise hätten auch Christinnen und Christen auf der Ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1948 in Amsterdam befunden: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Krieg könne nicht dem Willen Gottes gemäß, sondern allein als Zeichen von schuldhaftem Vergehen und als Symbol für die Unerlöstheit der Welt gesehen werden. „Diese Erkenntnis, so alternativlos sie Ihnen vielleicht aus heutiger Sicht erscheinen mag, ist der große Fortschritt im Denken von Theologie und Kirche angesichts der Schrecken des 20. Jahrhunderts“, so Sigurd Rink.
In den 1980er Jahren sei die Erkenntnis gewachsen, dass Frieden und Gerechtigkeit untrennbar zusammengehörten. „Vom gerechten Frieden her zu denken heißt zu fragen, was jeweils notwendig ist, um in Frieden zu leben. Damit weitet sich die Perspektive über akute Interventionen hinaus für eine nachhaltige Friedenssicherung und damit für ein vernetztes Sicherheitsverständnis“, betonte der Militärbischof. Wichtig sei, Frieden als Prozess abnehmender Gewalt zu sehen. Anstatt sich von absoluten Ansprüchen lähmen zu lassen, gelte es, das aktuell Mögliche beizutragen, um den Friedensprozess zu fördern. Der Schutz vor Gewalt, die Förderung von Freiheit, der Abbau von Not und die Anerkennung kultureller Vielfalt sind für ihn die Faktoren, die zu einem gerechten Frieden beitragen. "Das Leitbild des gerechten Friedens wird lebendig im Glauben daran, dass Wandel und Versöhnung möglich sind", lautete das Fazit von Sigurd Rink.
Zum Weiterlesen: Manuskript des Vortrags von Dr. Sigurd Rink
Der "Pilgerweg des Friedens und der Gerechtigkeit" im ökumenischen Kontext
Der ökumenische Blick sei in der Diskussion über das Thema Friedensethik ganz besonders bereichernd, sagte Prof. Dr. Fernando Enns, Leiter der Arbeitsstelle „Theologie der Friedenskirchen“ am Fachbereich Ev. Theologie der Universität Hamburg und seit 2011 Professor für (Friedens-) Theologie und Ethik an der Theologischen Fakultät der Vrije Universiteit Amsterdam. „Diejenigen, die Gewalt und kriegerische Auseinandersetzungen ganz konkret in ihrer Heimat erleben, haben eine andere Sicht auf das Thema, und sie bringen auch eine andere Sichtweise auf politische Entscheidungen ein, die in Deutschland getroffen werden", berichtete er von seiner Mitarbeit im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). "Wenn hier beispielsweise über eine ‚gewachsene Verantwortung in der Welt‘ gesprochen wird, erleben Menschen aus anderen Ländern das aus einem völlig anderen Blickwinkel.“
Bei seiner Vollversammlung im südkoreanischen Busan habe der ÖRK 2013 das Leitbild des „Pilgerwegs der Gerechtigkeit und des Friedens“ entworfen. Der Begriff gerechter Friede sei nicht einfach eine Umkehrung des Konzepts eines „gerechten Kriegs“, sondern reiche weit darüber hinaus: Gerechter Friede schließe soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und Sicherheit für alle Menschen ein.
Eine wichtige Erkenntnis der ökumenischen Diskussion sei gewesen, dass es sich nicht um einen Weg hin zu einem Ziel handele, sondern dass es ein Weg der Gerechtigkeit und des Friedens sei. „Wenn die Kirchen nicht anfangen, diesen Weg selbst zu gehen, wie sollen wir der Welt dann predigen, wie es geht?“, fragte Fernando Enns. Es gehe nicht um die Umsetzung eines gesellschaftspolitischen Ziels, sondern um eine spirituelle Transformation.
Der Pilgerweg des gerechten Friedens sei ein dritter Weg zwischen Verantwortungsverweigerung und der Befürwortung militärischer Einsätze. Es sei Aufgabe der Kirchen, realpolitische Aussagen zur Legitimierung militärischer Einsätze zu hinterfragen. So könne dem Satz „Auch durch Nicht-Handeln werden wir schuldig“ ein ökumenisches „Ja, aber damit ist nichts über die Legitimität der Mittel gesagt“ entgegengehalten werden; oder der Forderung „Politische Verantwortung wahrnehmen“ ein „Ja, aber Sicherheit für alle – auch für die Taliban“.
Zum Weiterlesen: Präsentation des Vortrags von Prof. Dr. Fernando Enns
Welche Schritte führen auf den Weg zum Gerechten Frieden?
Nach den grundlegenden Vorträgen zur Friedensethik von Militärbischof Dr. Sigurd Rink und Prof. Dr. Fernando Enns stellte sich Renke Brahms, Friedensbeauftragter des Rates der EKD, zum Abschluss des Thementages der Synodentagung der Frage, was konkret zu tun ist auf dem Weg hin zu einem Gerechten Frieden. In zwölf Thesen legte er dar, wie die Landeskirchen aus seiner Sicht den Prozess voranbringen können.
Der „Pilgerweg auf dem Weg des Gerechten Friedens“ sollte aus den Akademien und Gremien heraus in die Kirchengemeinden getragen werden – ihre Beteiligung sei entscheidend. Um den Weg nicht nur zu verbreitern, sondern auch zu vertiefen, sieht Brahms die Kirchen aufgefordert, Friedensspiritualität und Friedenstheologie zu stärken. Zudem dürfe Frieden kein Thema festgefahrener und alt gewordener Kreise und Gruppen bleiben. Um junge Menschen dafür zu gewinnen, müssen man auf ihre veränderten Formen des Engagements eingehen.
Erforderlich sei auch eine Versachlichung der Diskussion, weg von alten Gegensätzen und Frontstellungen, die angesichts der komplexen Sachverhalte nicht hilfreich seien. „Friede muss auch innerhalb unserer Kirche in der Streitkultur zwischen verschiedenen Positionen gelebt werden“, mahnte Renke Brahms an, „richtig streiten zu können ist ein Lernschritt auf dem Weg zum Frieden." Die Praxis des Friedens müsse auf allen kirchlichen Ebenen geübt werden – von der gewaltfreien Kommunikation in den Gemeinden über konkrete diakonische Hilfe bis zur politischen Aktion, je nach dem, was vor Ort die konkrete Aufgabe sei. Auch in der Ausbildung der Theologinnen und Theologen müsse Friedensethik eine stärkere Rolle spielen.
„Eine Kirche des Gerechten Friedens zeichnet sich auch dadurch aus, wie in ihr mit Unterschieden umgegangen wird“, lautete die Schlussbotschaft des EKD-Friedensbeauftragten. Daher sei in der Friedensfrage so viel aus der weltweiten Ökumene zu lernen, die unbedingt bewusst gepflegt werden müsse. Schließlich müsse die Kirche auch öffentlich über das Thema Gerechter Frieden sprechen: „Es ist ein lebendiges Zeugnis für die Botschaft von Gottes Frieden, der uns verheißen ist und schon jetzt in unser Leben und in unsere gesellschaftliche Situation hineinwirkt.“
Zum Weiterlesen: Die Thesen des Vortrags von Renke Brahms
AG "Rüstungsexporte"
„Wer Waffen exportiert, bekommt Flüchtlinge zurück“, so plakativ brachte Jürgen Grässlin die Zusammenhänge zwischen Waffenexporten und den weltweiten Fluchtbewegungen zusammen. Im Workshop „Rüstungsexporte“ informierte der „bekannteste deutsche Rüstungsexportkritiker“, wie Moderatorin Pfarrerin Anja Kramer ihn vorstellte, die Synodalen der oldenburgischen Kirche beim Themennachmittag zur Friedensethik über die Handelsbeziehungen der deutschen Rüstungsindustrie und die Wirkung deutscher Waffen, vor allem auch der Kleinwaffen, in den Krisengebieten auf dieser Erde.
Detailliert nahm er in seinem kurzen Vortrag Bezug auf die Exporte der Gewehre G3 und G36, informierte aber auch darüber, welche deutschen Autobauer Militärfahrzeuge herstellen. „Von 100 in gewaltsamen Konflikten Getöteten sterben 63 durch Gewehre“, berichtete Grässlin und ergänzte, „nach meinen Berechnungen stirbt alle 13 Minuten ein Mensch durch ein Gewehr der Firma Heckler & Koch.“ Derzeit würden deutsche Waffen unter anderem in Mexiko, im Jemen, im Sudan und auch vom IS eingesetzt. Dies liege auch daran, dass die Waffen unter anderem von Saudi-Arabien und den Peschmerga, an die sie geliefert wurden, weiterverkauft würden.
Deutlich machte der Experte auch, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen Waffenexporte sei – laut einer Umfrage sind es 83 Prozent. Doch die Regierung handle im Gegensatz zu dieser Stimmungslage. In den beiden vergangenen Jahren seien die Waffenexporte stark angestiegen. Dabei ging nach Grässlins Aussage ein Großteil der Waffen in Krisengebiete und an menschenrechtsverletzende Staaten. „Wir liefern unter anderem nach Saudi-Arabien, in den Irak und nach Algerien“, berichtete Grässlin. Deutlich machte er auch: „Mit deutschen Waffen werden Regime gestützt, die Christen verfolgen. Warum, kann ich mir nicht erklären.“
Auf Rückfragen aus der Workshop-Runde ging Grässlin auch auf die Argumente der Waffenindustrie ein. Nach seinen Ausführungen hängen mittlerweile nur noch 100.000 Arbeitsplätze von der Waffenindustrie ab. „Und gut ausgebildete Ingenieure werden gesucht“, betonte er. Auch das Argument „Wir liefern nur an die Guten“ zähle nicht. Vielmehr sei es so, dass Deutschland in Konfliktregionen auch beide Parteien beliefere.
Ein Exportverbot von Kriegsgerät und Kleinwaffen an Staaten in Krisenregionen könnte die Konflikte reduzieren, wurde in diesem Workshop deutlich. Jeder könne etwas dazu beitragen, um Waffenhandel und Waffenproduktion einzuschränken. Wichtig sei es, sich zu informieren, auch bei der Wahl des Auto-Herstellers, der Bank oder der Fluggesellschaft.
„Das sind ganz viele Bausteine, an denen wir ansetzen können. Etwa auch bei der Frage, wie wir unsere Rücklagen anlegen“, sagte Pfarrer Dr. Urs-Ullrich Muther in der Diskussion. Eine weitere Möglichkeit, sich zu engagieren, sei die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“, erläuterte Grässlin. 2011 war das Bündnis gegründet worden. Mittlerweile gehören ihm 140 Organisationen an, darunter auch die badische Landeskirche und sechs Erzdiözesen. Insgesamt seien etwa 60 Prozent kirchliche Organisationen.
Ein Beitrag von Kerstin Kempermann, Evangelische Zeitung Oldenburg.
AG "Umgang mit und Schutz vor terroristischen Gewalttaten"
„Wie passe ich hier rein?“ Diese Frage stellte Polizeioberrat Thomas Kues im Workshop „Umgang mit und Schutz vor terroristischen Gewalttaten“. Doch schnell wurde deutlich, dass auch dieser Aspekt zu einem Nachmittag gehört, der sich mit dem Schwerpunktthema „Friedensethik“ beschäftigt. Er berührt die Frage, wie das Bedürfnis nach Sicherheit zu erfüllen ist, ohne die persönliche Freiheit aufzugeben.
„Das Ziel der Terroristen ist eine Destabilisierung der Staaten und der Gesellschaft“, machte Kues, Dezernatsleiter Kriminalitätsbekämpfung in der Polizeidirektion Oldenburg, in seinem Beitrag deutlich. Dies werde auch durch staatliche Überreaktionen und eine Überbetonung des Sicherheitsaspektes nach Anschlägen erreicht. „Das Ziel der Terroristen ist, dass sich das tägliche Zusammenleben in der Gesellschaft verändert“, so Kues. Die Synodale Germaid Eilers-Dörfler nannte dazu beispielhaft die Sicherheitsvorkehrungen, die bei der Verleihung des Carl-von-Ossietzky-Preises an den Islamexperten Ahmad Mansour in Oldenburg ergriffen werden mussten. Kues empfahl im Umgang mit der Bedrohungslage durch den Terrorismus zu einem „gelassenen Gefahrenbewusstsein“. Er selbst gehe weiterhin ins Fußballstadion und auf Weihnachtsmärkte, sagte er auf Nachfrage aus der Runde.
„Wird unsere Situation unsicherer und inwiefern sind wir selbst schuld?“, diese Frage stellte Fernando Enns, Professor für Friedenstheologie und Gastreferent bei dieser Synodentagung, im Workshop. Kues antwortete, dass die Gefährdungslage tatsächlich gestiegen sei und dies auch mit der veränderten Rolle Deutschlands in der Welt zu tun habe und natürlich auch mit der Lebensweise in unserer Gesellschaft.
Kues informierte die Synodalen auch über die sehr personenintensiven Maßnahmen, die die Polizei zum Schutz vor Terrorismus in Deutschland unternehme, um die Sicherheit zu stärken. Er betonte aber auch, dass zwischen objektiver und subjektiver Sicherheit unterschieden werden müsse. Gerade die subjektive Sicherheit werde sehr stark durch soziale Medien und damit nicht unbedingt durch Tatsachen beeinflusst. Doch gerade beim Thema Sicherheit und Freiheit sei ein sachlicher Blick besonders wichtig, machte Kues deutlich.
Ein Beitrag von Kerstin Kempermann, Evangelische Zeitung Oldenburg.
AG "Von der rechtserhaltenden Gewalt zum gerechten Frieden"
„Der Friede ist wie ein Mensch, er braucht das Recht wie seine Knochen.“ Mit dieser Feststellung eröffnete Geiko Müller-Fahrenholz die Gesprächsrunde in der Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema „Von der rechtserhaltenden Gewalt zum gerechten Frieden“ befasste. Und er erklärte, dass das Recht in Form von Gesetzen oft dem Rechtsempfinden hinterherhinke.
Als Beispiel nannte er das Verbot körperlicher Züchtigung von Kindern. Erst im Jahr 2000 habe der Gesetzgeber diese Züchtigung verboten, es sei aber schon Jahrzehnte zuvor vorherrschende Meinung der deutschen Bevölkerung gewesen. Der ehemalige Mitarbeiter des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) nannte aber auch ein umgekehrtes Beispiel. Das Gesetz folge nicht immer der Mehrheitsmeinung, etwa bei der Todesstrafe, die immer wieder nach schlimmen Verbrechen gefordert werde.
Auch international werde noch nicht überall die rechtserhaltende Gewalt akzeptiert, zu der sich eine große Mehrzahl der Länder aus der Erfahrung von Weltkriegen, Genoziden und Kriegsverbrechen verständigt haben. Zu den Ländern, die sich nicht dem Spruch des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beugen wollten, gehörten etwa die USA, China oder Israel. Dabei sei dieses Gericht angesichts aktueller militärischer, paramilitärischer und polizeilicher Gewalt in vielen Ländern wichtiger denn je.
„Gerade weil Gewalt keine Grenzen kennt, muss sie unter dass Recht gestellt werden“, erklärte Müller-Fahrenholz. Der Mensch sehne sich nach Abwesenheit von Gewalt, wenigstens aber nach seiner Begrenzung. Daher sei Frieden unverzichtbar und überlebensnotwendig.
Der Pfarrer forderte auch einen Perspektivwechsel in der Rechtsprechung. Im Allgemeinen stehe der Täter im Blickpunkt; wichtiger aber sei, die Leidtragenden in den Blick zu nehmen, um ihr Elend zu beseitigen oder wenigstens eingrenzen zu können. Es sei ein schlimmes Zeichen für die Gesellschaft, dass das Wort „Opfer“ zu einer Art Schimpfwort geworden sei. Wer die Leidtragenden im Blick habe, erkenne, dass „Kriege“ nicht nur mit Waffen geführt werden. Auch der Klimawandel gehöre dazu, sei ein „Abnutzungskrieg gegen die Natur“, ebenso eine ungerechte Weltwirtschaft. Hier nannte Müller-Fahrenholz als Beispiel das geplante Freihandelsabkommen TTIP mit seinen privaten Schiedsgerichten.
Ohne Instrumente zur Durchsetzung des Rechts gehe es sicher nicht, räumte der Friedensforscher ein. Und zu Sanktionen gehöre auch Gewalt. Das müsse aber eine polizeiliche Gewalt sein, klar definiert und begrenzt. Militärische Gewalt „als letztes Mittel“ lehnte Müller-Fahrenholz rundweg ab, „denn nach ihrem Einsatz muss es weitergehen.“ Es solle nur beschwichtigend wirken, von einem letzten Mittel zu reden. Schließlich kritisierte Müller-Fahrenholz noch das „krasse Missverhältnis“ der Haushaltsmittel für das Militär und Waffen einerseits und für das Forum ziviler Friedensdienste andererseits.
In der Diskussion wurde die Ohnmacht angesichts aktueller Konflikte deutlich: „Wie können wir solche Zustände wie in der Ukraine beenden?“ Müller-Fahrenholz verwies darauf, dass solche Zustände im Vorfeld verhindert werden müssten: „Sind wir nicht clever genug, uns mit präventiven Vorstufen auszustatten?“
Wer aber lege fest, was Recht sei, lautete eine andere Frage: „Machen wir uns selbst zur festlegenden Autorität?“, fragte Pastorin Silke Oestermann. Müller-Fahrenholz plädierte für Mandate der Vereinten Nationen. Dies könne auch der zunehmenden Re-Nationalisierung in vielen Ländern entgegenwirken. Die UN hätten zwar das Recht, in internationalen Konflikten einzuschreiten, erklärte der Synodale Pfarrer Kai Wessels, nicht aber die Pflicht.
Auf die Feststellung, dass Menschen nicht bereit seien, sich selbst die Möglichkeit der Gewalt zu nehmen, kam die Erwiderung, einer habe es vorgemacht: Jesus. Es sei Aufgabe der Kirchen, neue, gewaltfreie Formen der Intervention zu entwickeln, meine Müller-Fahrenholz. Das Bombardement Aleppos hätte womöglich verhindert werden können, wenn sich hohe geistliche Würdenträger – christliche wie muslimische – dort versammelt hätten. Und in den Gemeinden hätte eine solche Aktion durch wochenweises Fasten unterstützt werden können.
„Es genügt nicht, ein Paper zu verfassen“, war sich die Gruppe einig und nannte als gutes Beispiel für eine wirksame symbolische Aktion die Besuche des Papstes bei den Flüchtlingen auf der Insel Lampedusa und im griechischen Idomeni.
Ein Beitrag von Michael Eberstein, Evangelische Zeitung.
AG "Die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit für Frieden"
„Jedes Land der Welt ist ein Entwicklungsland.“ Dieser Gedanke müsse das Denken künftig bestimmen. Auf diese Kurzform lasse sich zusammenfassen, was in der jüngsten Studie der EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung (EKD-Texte 122 von 2015) steht, erklärte ihr Vorsitzender, der ehemalige Bundestagsabgeordnete Thilo Hoppe, der heute für Brot für die Welt arbeitet. Der ehemalige Diakon war Hauptgesprächspartner in der Arbeitsgruppe, die sich der Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit für den Frieden widmete.
Der Gedanke, dass auch Deutschland ein Entwicklungsland sei, sei bei den Kirchen durchaus schon seit den 1990er Jahren präsent. Im jüngsten Weißbuch widmet nunmehr auch das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dieser Idee ein ganzes Kapitel. Dazu gehöre auch die Forderung nach einem Umbau der Landwirtschaft. Es gebe Anzeichen, dass Minister Gerd Müller die Fehlentwicklungen und damit die Missachtung planetarischer Grenzen erkannt habe. Jedenfalls erkläre er häufig, dass „wir 2,6 Erden bräuchten, wenn alle Menschen in der Welt so lebten wie wir in Deutschland“, sagte Hoppe und ergänzte, dass nach anderen Berechnungen sogar drei oder gar vier Erden nötig wären. Doch „zwischen Erkenntnis und Handeln“ liege noch ein großer Graben. Denn ohne materielle Einschränkungen werde es künftig nicht mehr gehen.
Als Beispiel nannte Hoppe den Kohlendioxid-Ausstoß. Jeder Mensch der Erde dürfte maximal zwei Tonnen pro Jahr verursachen. Doch nur Afrikaner lägen mit einer Tonne darunter, Chinesen schon doppelt so hoch, Deutsche sogar bei mehr als elf Tonnen und damit über dem europäischen Durchschnitt von zehn Tonnen. Negativer Spitzenreiter aber seien die USA mit 20 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr.
Dass politische Entscheidungen durchaus Ergebnisse bringen können, machte Hoppe an den Milleniumszielen fest. Sechs der acht Ziele zum Abbau von Hunger und Armut und für mehr Bildung seien erreicht worden. Dennoch: „In keinem Land der Erde gab es seither eine positive Entwicklung ohne einen zunehmenden Druck auf das Ökosystem“.
Die Kirchen dürften sich aber nicht nur als die besseren Vordenker sehen, meinte der ehemalige Vorsitzende des Bundestags-Entwicklungshilfeausschusses. In bestimmten Bereichen sei der Staat schon weiter, etwa mit dem Beschluss, dass bis zum Jahr 2020 die Hälfte aller neu anzuschaffenden Textilien Öko-Standard erfüllen müssten. „Stellen Sie sich einmal den Berg vor, der auch in den Kirchen und in der Diakonie, in Krankenhäusern und Altenheimen ersetzt werden müsste.“
Hoppe betonte, dass es ohne eine Angleichung der Verhältnisse nicht zu Frieden kommen könne. „Ungleichheit und Ungerechtigkeit rufen Konflikte hervor.“ Und „wo die Schere zwischen Arm und reich auseinandergeht, wächst das Potenzial von Gewalt.“ Als ein Negativbeispiel nannte er die EU-Verträge mit westafrikanischen Ländern, die großen Fischtrawlern das Fischen vor dem afrikanischen Kontinent gestattet. Eine solche schwimmende Fischfabrik fange an einem Tag so viel Fisch wie 45 der typischen Fischerboote im ganzen Jahr. Den Fischern blieb nichts anderes übrig, als ihre Boote den Schleppern zur Verfügung zu stellen, die damit Flüchtlinge nach Europa brächten. Ähnlich schlimm sei auch die Vernichtung lokaler Märkte durch Importe, etwa durch den Handel mit Hähnchen-Kleinteilen aus Europa.
Es sei jedoch falsch, nur in wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten die Ursachen von Kriegen zu sehen, sagte Hoppe. Auch religiöser Fanatismus schüre Gewalt. Umso wichtiger sei ein Interreligiöser Dialog, wie er zum Beispiel in Zentralafrika gelinge. Seine Gestalter, Christen wie Muslime, wurden dafür schon mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Grundsätzlich unterstütze er die Meinung, dass zu einem wirtschaftlichen Transformationsprozess auch ein spiritueller gehöre. „Und dazu brachen wir die Kirchen.“
Habgier, Neid und Korruption, so hieß es in der Diskussion, seien menschliche Übel, die sich wohl nicht ausrotten ließen. Das scheitere oft am eigenen Portemonnaie und an der Kurzsichtigkeit in Bezug auf die Folgen. Der niedrige Milchpreis wurde als Beispiel genannt. Was der Verbraucher heute als Vorteil sehe, werde langfristig zum Nachteil, wenn er für Langzeitfolgen aufkommen müsse.
Hoppe hielt dagegen, dass nicht nur Missgunst und das Streben nach eigenem Vorteil typisch für den Menschen sei, sondern auch Empathie und Mitleid. „Es ist Aufgabe der Kirchen, diese menschliche Eigenart zu stärken“, etwa durch Information über die Konsequenzen zu kurzsichtigen Denkens und Handelns. Aber auch die Politik sei gefordert. Sie könne zum Beispiel dafür sorgen, dass Grabsteine schon im Hafen beschlagnahmt werden können, wenn sie von Kindern in Indien produziert wurden.
Ein Beitrag von Michael Eberstein, Evangelische Zeitung.