Oldenburg/Marburg (epd). Man kann nicht elektrisches Licht anmachen und zugleich an die Wunderwelt der Bibel glauben - mit diesem Grundgedanken entzauberte Rudolf Bultmann radikal die Sprache der biblischen Texte. Dämonen, Engel, Himmel und Hölle: «Das alles ist mythologische Rede», durch die Wissenschaft überholt. Indem er das vorwissenschaftliche Weltbild der Bibel neu deutete, öffnete Bultmann aber auch Skeptikern einen Zugang zum christlichen Glauben. Der Pfarrerssohn wurde vor 125 Jahren, am 20. August 1884, in Wiefelstede bei Oldenburg geboren. Er starb 1976.
Bultmann gehört zu den bedeutendsten protestantischen Theologen, mit seinem Namen ist eine Epoche der Kultur- und Geistesgeschichte verbunden. Er wollte die reine Botschaft der Evangelien freilegen, die Lehre Jesu von der unmittelbaren Nähe Gottes zu den Menschen. Und er wollte sie dem modernen Menschen verständlich machen.
Dazu befreite Bultmann die antiken Sprachbilder von ihrem zeitbedingten mythischen Gehalt - wie zum Beispiel das der Jungfrauengeburt oder der Schöpfung der Welt in sieben Tagen. Die Aktualität dieses Ansatzes zeigt die Kreationismus-Debatte. Kreationisten interpretieren die biblische Schöpfungsgeschichte wörtlich und lehnen die von Charles Darwin (1809-1882) begründete wissenschaftliche Evolutionstheorie ab.
Rund 30 Jahre lang lehrte Bultmann Neues Testament in Marburg und ist heute ein Symbol für den Dialog des Christentums mit der Moderne. Doch mit seinem Programm der sogenannten Entmythologisierung zog er auch den Zorn von konservativen Christen und Kirchenleitungen auf sich, die ihn der Irrlehre bezichtigten und den Ausverkauf der christlichen Botschaft befürchteten. Für einige ist er noch heute ein rotes Tuch.
Die äußerste Konsequenz von Bultmanns weltweit anerkannten Arbeiten über die Entmythologisierung des Christentums sei «die Verneinung der leiblichen Auferstehung Christi», meldete die Tagesschau am 31. Juli 1976, einen Tag nach Bultmanns Tod - wobei sie sein Lebenswerk stark vereinfachte. Der Theologe starb kurz vor Vollendung seines 92. Lebensjahres in Marburg.
Im Streit um die «rechte Lehre» sollte Bultmann sogar mit einem Lehrzuchtverfahren der Kirche diszipliniert werden. Lutherische Theologen warfen ihm vor, er betreibe die «Selbstauflösung der Theologie in eine atheistische Philosophie». Noch Anfang der 1950er Jahre wurde von vielen Kanzeln herab vor dieser Theologie gewarnt.
Doch Bultmann war kein Kirchenschreck. An seine Frömmigkeit erinnert sein Biograf Konrad Hammann. Nicht nur Kirchenlieder waren ihm unverzichtbar, als Kirchenvorsteher zwischen 1936 und 1951 verrichtete er «gewissenhaft den Kirchendienst und sammelte im Gottesdienst die Kollekte ein». Von Anfang an gehörte Bultmann der Bekennenden Kirche an, die sich mutig gegen die Ideologie des Naziregimes wehrte. Zu seinem 100. Geburtstag sagte Bischof Eduard Lohse, damals Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bultmann habe die Kirche zu ihrem eigentlichen Thema zurückgeführt: «Gott und nichts anderes».
Dennoch warfen ihm evangelikale Christen immer wieder vor, er verwässere die Heilige Schrift durch philosophische Spielereien. Tatsächlich nutzte Bultmann, der mit dem in Oldenburg geborenen Philosophen Karl Jaspers zur Schule ging, Martin Heideggers (1889-1976) Existenzphilosophie. Bultmann: «Das Leben des Menschen wird bewegt durch das Suchen nach Gott, weil es immer, bewusst oder unbewusst, von der Frage nach seiner eigenen Existenz bewegt wird.
Die Frage nach Gott und die Frage nach mir selbst sind identisch.»
Bultmann habe die Christen vom zwanghaften Buchstabenglauben befreien wollen, weil viele Menschen die biblische Sprache nicht mehr verstehen, bilanzierte der evangelische Publizist und Theologe Heinz Zahrnt (1915-2003). Religionswissenschaftler warnen jedoch auch vor einer zu negativen Sicht auf den Mythos. Schließlich könne durch eine bildhafte sprachliche Gestalt Unsagbares sagbar gemacht werden.
Religiöse Erfahrung lasse sich oft nur in Symbolen darstellen.
«Entmythologisierung bedeutet bei Bultmann freilich nicht die Eliminierung des Mythos, sondern seine Reinterpretation», betont der Wiener evangelische Theologieprofessor Ulrich H.J. Körtner. «Der Glaube ist vom Mythos zu unterscheiden.» Auch wenn in den vergangenen Jahrzehnten der Begriff des Mythos eine neue Aufwertung erfahren habe, bleibe Bultmanns Theologie «ungebrochen aktuell.»