Marit Cremer, „Ich wollte unbedingt, dass es meine Heimat ist.“
Identitäten von Kindern deportierter Russlanddeutscher in Deutschland,
Memorial e.V. (Hg.), Berlin 2018
Die Broschüre enthält mithilfe der objektiven Hermeneutik methodisch geführte qualitative Interviews mit Kindern deportierter Russlanddeutscher, aus denen die generationsübergreifende Tragweite derer Schicksale im familiären Kontext offensichtlich wird.
Fragen nach der Entscheidung für die Ausreise, Vorbereitung derselben und Ankunft in Deutschland werden ebenso aufgezeigt wie Fragen der Motivation und des Selbst- und Fremdwahrnehmens als Neubürger.
Besonders eindrücklich sind die Bewältigungsstrategien des Einlebens und der neuen Selbstdefinition: Welche Rolle spielt noch die Vergangenheit der Eltern und welche die eigene? Rückzug in die Familie, Investitionen in die eigenen Kinder, Pflege oder Aufgabe der Sprachkulturen russisch – deutsch, Überassimilation, welchen Weg gilt es zu gehen?
Darüber hinaus werden Einstellungen zu Öffentlichkeit und Politik aus der Erinnerungskultur der Kinder deportierter Eltern nachvollziehbar erhoben.
Die Soziologin Marit Cremer zeigt biographisch auf, dass eine nachhaltige und nachholende Integration für die nächsten Generationen von Russlanddeutschen gerade heute unerlässlich zur fortführenden Selbstinterpretation sein wird.
Dass dabei gerade die Kirche wichtige Arbeit zu vollziehen hat, ist der Studie schnell zu entnehmen. Das gilt nicht zuletzt für die Wahrnehmung der Kinder jener Generation, die schwere Erfahrungen und auch traumatisierende Erlebnisse in ganz anderen geschichtlichen Kontexten erfahren musste. Die prägende Kraft dieser Geschehnisse ist bis heute in den Familien virulent.
Man sollte diese Broschüre mit russlanddeutschen Bürgern aber auch dazu nutzen, den Umgang mit Flüchtlingen, Asylanten oder anderen Migrationsgruppen und deren Erinnerungskultur und Lebensschicksalen zu bedenken.
Von Pfarrer Dr. Oliver Dürr