Gottfried Rösch, Deutsche aus Russland und die Kirche: Zum Verhältnis von Religion und Migration, Kirche in der Weltgesellschaft 13, Münster: LIT, 2021.
Gottfried Rösch war lange Zeit als Pfarrer in einer bayerischen Kirchengemeinde mit hohem Aussiedlerbevölkerungsanteil tätig. Er durchmisst in seinem Buch diese Erfahrungen mit soziologischen, migrations- und kirchlich missionspragmatischen Ansätzen. Dadurch ergibt sich ein Perspektivwechsel, den es zu vertiefen lohnt. Denn vieles zu vergegenwärtigen, was in der kirchlichen Wirklichkeit mit und unter Russlanddeutschen glückt oder misslingt, bedarf nicht bloß eines besseren Wissens über ihre Herkunft, sondern genauso des Wahrnehmens derer eigenen Kirchenbilder, die sich schon einer eigenständigen einfachen Gottesrede verdanken.
Neuere Studien zeigen dazu wissenschaftlich Kriterien sozialen Handelns auf, die mit Erfahrungsberichten korrespondieren. Dazu gilt es, kollektiv-kontextuelle Erfahrungswerte zu bergen, die eine Bevölkerungsgruppe als einstmals weitflächig verstreute Minderheit in einem anderen säkular-atheistischen Wertesystem familiensystemisch weitergetragen und sodann in den jungen Generationen im Verhältnis zur Kirche in Deutschland weiterentwickelt hat. Rösch spricht davon, dass sich hier eine Gruppe selbsttätig ihre Kultur erworben hat, die ihr ganz originäres Wissen um religiöse wie säkulare Entfaltungsmöglichkeiten besitzt. Der kirchenaffine Terminus dazu ist jener der »spirituellen Selbstermächtigung«, die zwischen biographischer Selbstfindung und Gemeinsinnfindung seit Generationen schon zirkuliert.
Diese Untersuchungen lohnen sich weiterzuführen. Manche soziologische oder psychologische Begriffe wie etwa jener der „Selbstermächtigung“ selber sind dabei sicherlich kritisch zu beleuchten, inwieweit sie nicht bloß in ihrer Verwendung positiv, sondern auch in Teilen negativ zu bewerten sein könnten. Gleichwohl ist dieses lohnenswerte Buch nicht ohne Grund von der Aussiedlerarbeit in der EKD unterstützt worden.