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„Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe“, „Das letzte Spiel hast du verloren“, „Wie es kommt, kommt’s“ – so lauten Innschriften auf Grabsteinen moderner Gräber. Noch vor wenigen Jahrzehnten wären solche Innschriften undenkbar gewesen, heute sind sie aber kein Einzelfall mehr. Die Sprache auf den Gräbern wird laxer, nicht immer, aber immer öfter. Das ist dem Wandel der Zeit und der Veränderung der Werte geschuldet.

Die Sprache der Gräber verstehen und übersetzten, das haben sich die Soziologen Dr. Thorsten Benkel von der Universität Passau und Matthias Meitzler von der Universität Frankfurt zur Aufgabe gemacht. Am Mittwochabend, 17. September, gaben sie im Bürgerhaus Schortens einen kurzen Abriss über die Veränderungen der Begräbniskultur seit der Reformation vor rund 500 Jahren und stellten die Vielfalt der zeitgenössischen Bestattungskultur vor.

Der Vortrag war die Auftaktveranstaltung einer sechsteiligen Reihe unter dem Titel „Reformation und Erinnerungskultur“, die im Ev.-luth. Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven zwei Jahre vor dem Jubiläum zur Reformation wichtige Fragen rund um die Bestattung und das Gedenken aufgreift.

Kreispfarrer Christian Scheuer und der Leiter der evangelischen Familienbildungsstätte, Rüdiger Schaarschmidt, führten durch den Abend, der gut besucht war. Den musikalischen Rahmen gestaltete Richetta Manager mit Gospels, die von Kreiskantor Klaus Wedel am Klavier begleitet wurden.

Im Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven werden 34 Friedhöfe unterhalten, jährlich gibt es dort im Schnitt rund 1.100 Beisetzungen. Damit sei die Kirche der regional bedeutsamste Friedhofsträger, so Scheuer. Die Zeit sei reif für eine Diskussion zum Themenbereich Bestattung, denn „auf unseren Friedhöfen ist zurzeit richtig viel los“. Mit der Reformation habe es eine gravierende Veränderung in der Bestattungskultur gegeben, erklärte Dr. Benkel. Damals lagen die Friedhöfe noch mitten im Ort, meist direkt bei der Kirche und die Toten gehörten quasi zum täglichen Leben. Der Friedhof als Ort der Begegnung sei keine Seltenheit gewesen. Mit der Reformation wurden neue Friedhöfe an den Ortsrändern angelegt. Von nun an mussten Angehörige bewusst die Verstorbenen aufsuchen. Tod und Erinnerung wurden somit mehr an den Rand gedrängt.

Doch auch die Bestattungskultur selber hat sich stark verändert. War es frühere noch üblich, dass bestimmte Riten und Gebräuche eingehalten wurden, so hat im Laufe der Zeit und vor allem in den letzten Jahren ein starker Trend zur Individualisierung eingesetzt. Grabstellen belegen heute zumeist nicht mehr die Hoffnung des Verstobenen auf ein besseres Jenseits, sondern haben sich gewandelt zu einem Ort der Rückschau, an dem Wesenszüge oder wichtige Stationen im Leben des Verstorbenen aufgegriffen werden. Hier spielen heute Symbole wie der Fußball oder Musikinstrumente eine wichtige Rolle. Häufig griffen auch weltliche und religiöse Symbole in einander, so Meitzler.

Die beiden Soziologen belegten, dass es heute keine Eindeutigkeit mehr gebe: „Die Vielfalt des Lebens mündet in einer Vielfalt des Umgangs mit dem Tod“, so Dr. Benkel. Dabei sei nichts so beständig wie der Wandel. Gerade jetzt sei die Bestattungskultur wieder stark im Umbruch begriffen. Vielfach werden keine aufwendig zu pflegenden Gräber mehr gewünscht.

Die wachsende Mobilität der Menschen schlägt sich hier nieder, vielfach ist es nachwachsenden Generationen, die an fernen Orten leben, nicht mehr möglich, für die Grabpflege zu sorgen. Abgesehen davon spiele hier auch die Kostenfrage mit hinein. Neue Formen wie zum Beispiel ein Friedhofsgarten oder ein Friedwald seien gefragt. Benkel und Meitzler zeigten dabei eine Auswahl an Fotografien, in denen sie unter anderem auch die Friedhöfe der Region aufgriffen.

Die nächste Veranstaltung der sechsteiligen Reihe unter dem Titel „Reformation und Erinnerungskultur“ findet statt am Freitag, 19. September, um 18 Uhr in der Auferstehungskirche in Varel. Hier führt Professor Dr. Reiner Sörries in eine Wanderausstellung unter dem Thema „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“ ein und erläutert die Frage: „Wie viel Freiheit verträgt der Friedhof?“

Weitere Veranstaltungen der Reihe finden Sie unter: www.kirche-am-meer.de


Ein Beitrag von Annette Kellin.

Gespräch über Bestattung und Erinnerung: (von links) Rüdiger Schaarschmidt, Matthias Meitzler, Dr. Thorsten Benkel und Christian Scheuer. Alle Fotos: ELKiO/Annette Kellin
Richetta Manager und Klaus Wedel hatten mit Gospels die passende Musik ausgewählt.
Heute werden vielfach keine aufwendig zu pflegenden Gräber mehr gewünscht.
Solche Bilder gehören zum „auslaufenden Modell“. Der Friedhof wird individueller.