Am vergangenen Sonntag hatte Bundespräsident Steinmeier zum Gedenken eingeladen. Fast 80.000 Menschen sind in Deutschland durch Corona gestorben. Ihrer wurde gedacht, aber auch der Menschen, die an anderen Krankheiten in Krankenhäusern oder Pflegheimen durch die Umstände der Pandemie ohne Begleitung ihrer Angehörigen verstarben.
Es war eine beeindruckende Feier, die da im Fernsehen übertragen wurde. Angehörigen erzählten von ihren Lieben, immer wieder von der Einsamkeit der Erkrankten, aber auch von ihrer eigenen Not und Verzweiflung. Kerzen wurden entzündet, Musik erklang. Bundespräsident Steinmeier sprach tröstende Worte.
Ich kann nur erahnen, wie furchtbar die geschilderten Situationen waren und bleiben werden. Denn das bedrückende Gefühl der Angehörigen, dem Sterbenden keine Nähe geschenkt zu haben, vielleicht sogar das Schuldgefühl begleitet deren Leben weiter.
Da helfen auch keine Erklärungen. Sie sind nur ein schwacher Trost, der das Herz voller Trauer kaum erreichen wird. Vor der Gedenkfeier fand ein ökumenischer Gottesdienst in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche statt. Mit Psalm 13 wurde der Hilferuf eines Angefochtenen gebetet:
HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich?
Wie lange werden quälenden Gedanken bleiben? Wie lange wird die Trauer das Leben bestimmen? Aber auch: wie lange müssen wir jeden Tag weitere Tote beklagen? Wie lange noch werden Frauen und Männer einsam auf Intensivstationen sterben? Wie lange noch müssen pflegendes und medizinisches Personal und Angehörige dies aushalten?
Worte aus alter Zeit werden durch heutiges Erleben lebendig. Mit ihnen bringen wir - wie Generationen vor uns – unsere Not vor Gott. Dies tun Menschen, die an Gott glauben. Beeindruckend geschah dies im Gottesdienst über Religionsgrenzen hinweg. Haltung und Sprache unterschiedlich, aber doch in der Trauer und in der Suche nach Halt verbunden.
Wie lange noch, Herr? Dieser Frage folgt im Psalm die Aufforderung an Gott: Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott! Erleuchte meine Augen.
Aus der Niedergeschlagenheit heraus ein erster Schritt: Gott, tu doch was. Schau mich an, erhöre mich, erleuchte meine Augen.
So haben Menschen vor langer Zeit formuliert und weitergegeben. Aus der Not zum Vertrauen. Da ist einer, der uns sieht. Ihn rufen wir an. Er muss helfen.
Nicht jeder, nicht jede wird so glauben und vertrauen können. Darum darf unser Gedenken nicht nur den Verstorbenen gelten, sondern auch den Lebenden. Die die Bilder und Vorstellungen und Gefühle nicht loswerden, die in ihrer Trauer gefangen bleiben und nicht in Frieden loslassen können, sie brauchen unser Gebet, unsere Zuwendung, unsere Unterstützung. Vor allem aber unsere Zusage:
Ich traue darauf, dass Gott gnädig ist.
Sabine Spieker-Lauhöfer, Pfarrerin im Oberkirchenrat.