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Das Pastorenehepaar Anke und Stefan Stalling sind Pfarrerin und Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg. Seit drei Jahren teilen sie sich die Pfarrstelle in der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon. Zuvor hatten sie je eine Pfarrstelle in der Wesermarsch, in Brake und in Hammelwarden, inne. Im Rahmen des Programms „Besuchen - Begleiten – Beraten“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) besuchten Oberkirchenrätin Annette-Christine Lenk, Personaldezernentin der oldenburgischen Kirche,  und Oberkirchenrat Michael Schneider vom Amt der EKD in Hannover für vier Tage das Pastorenehepaar und die deutsche Gemeinde in Lissabon. Pressereferent Hans-Werner Kögel hat sie dabei begleitet.

 

 

„Ich freue mich, dass Sie die Zukunft der Gemeinde in schwierigen Zeiten mit gestalten wollen“, sagt Pfarrerin Anke Stalling, als sie in der evangelischen Kirche in Lissabon drei neue Kirchenälteste in ihr Amt einführte.

 

Mit den „schwierigen Zeiten“ ist die wirtschaftliche Situation Portugals gemeint, die in eine nicht zu übersehene Krise geführt hat. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch viele Gespräche der Gemeinde. Im Gemeindekirchenrat genauso wie beim kleinen Mittagsimbiss nach dem Gottesdienst. „Meine Tochter ist Lehrerin an einer portugiesischen Schule und überlegt jetzt sehr ernsthaft, ob sie nicht wieder nach Deutschland zurückkehrt“, berichtet eine ältere Frau. „Als Lehrerin verdient sie monatlich 1.400 Euro, doch davon bleiben bei 700 Euro Miete und 500 Euro Schulgeld für ihr Kind kaum etwas übrig.“ Durch den Wegfall von zwei Monatseinnahmen, der Absenkung von Gehältern ist das Einkommen stark zurückgegangen. Es liegt 30 bis 50 Prozent unterhalb vergleichbarer Einkünfte in Deutschland. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten durch die Aufhebung von Preisbindungen und durch Steuererhöhungen auf bundesdeutsches Preisniveau gestiegen.

 

Dass die Menschen weniger Geld zur Verfügung haben, merkt man daran, dass die morgendlichen Staus, die zu jeder Großstadt gehören, mittlerweile fehlen. Die Leute nutzen öffentliche Verkehrsmittel, wenn sie von den Vororten in das Zentrum von Lissabon pendeln.

 

Auch zu den sonntäglichen Gottesdiensten oder zu den Gemeindeveranstaltungen müssen die Mitglieder der Deutschen Gemeinde zur Kirche und zum Gemeindehaus im Norden der Stadt anreisen. Sie leben fast alle im Umland von Lissabon, bis zu 60 Kilometer von der Kirche entfernt. Um die kirchliche Arbeit vor Ort gestalten zu können, bedarf es ohnehin eines sehr hohen Organisationsaufwandes. Aber nur wenigen würde es in der Finanzkrise schwer fallen, weiterhin regelmäßig zu kommen, schätzt Stefan Stalling. „Vielleicht 50 von den 350 eingeschriebenen Gemeindemitgliedern.“ Den  Gemeindemitgliedern ist der Kontakt untereinander wichtig. Deshalb gibt es nach dem Gottesdienst einen Kaffee im Gemeindehaus und einmal im Monat ein Mittagessen. Da wird die Gemeinde zur Heimat. Der menschliche Austausch hilft gegen die Einsamkeit.

 

Wie ihr Vorgänger setzen Stallings viel Engagement in die Kinder- und Jugendarbeit. Neben dem Konfirmandenunterricht, der wegen der großen Entfernungen an Wochenenden mit Übernachtungen organisiert ist, unterrichtet das Pastorenehepaar 14 Wochenstunden Religion an der Deutschen Schule in Lissabon. „Damit haben wir einen guten Kontakt zu den deutschsprachigen Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern“, sagt Stefan Stalling. Die Deutsche Schule, die von einem unabhängigen Schulverein getragen wird, zählt zu den Eliteschulen in Lissabon. Die Unterrichtssprache ist Deutsch, auch wenn einige Portugiesen die Schule besuchen. Auch hier gibt die Sorge, dass aufgrund der wirtschaftlichen Lage zukünftig Kinder aus der Schule abgemeldet werden, weil das Schulgeld nicht mehr aufzubringen ist (5.500 EUR p.a.)  Für die gehaltenen Schulstunden erstattet der Schulverein der Kirchengemeinde ein Stundenhonorar. Dieses ist Teil der Einnahme für die Besoldung durch die Kirchengemeinde. Die Einnahmen speisen sich im Wesentlichen aus den Mitgliedsbeiträgen der Gemeindeglieder, aus Kollekten und Spenden und aus geringen Mitteln der EKD.

 

Nach dem großen Kirchenjubiläum der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon, die im vergangenen Jahr 250 Jahre alt wurde, kehrt der Alltag in der Gemeinde wieder ein und der diakonische Aspekt rückt angesichts der wirtschaftlichen Krise immer stärker in den Vordergrund.

 

Uschi Jagemann, Gemeindekirchenrätin der Deutschen Gemeinde, ist ehrenamtlich in zwei sozialen Projekten tätig. Das erste Projekt, Centro de Apoio Social do Pisão in Alcabideche, ist ein ehemaliger Landsitz mit eigener Kapelle, mit Bettenhäusern, einer Krankenstation, Therapieräumen und einem Cafe außerhalb Lissabons. Dort finden Haftentlassene, Obdachlose und Menschen mit Behinderungen Unterkunft. Sie sind zum Teil in 10-Bett-Schlafsälen ohne einen individuellen Ort für die Bewohner untergebracht.  Für wenige gibt es Werkstätten für therapeutische Maßnahmen. Insgesamt wohnen dort 340 Menschen, 70 Frauen und 270 Männer. Trägerin dieses Projektes ist der Staat. Die Kirchengemeinde spendet für dieses Projekt Mittel aus dem Erlös des Adventsbasars, da die finanziellen Mittel für dieses Projekt so dürftig sind, dass es immer Suppe zum Essen geben muss, berichtete die Leiterin der Einrichtung. Sie bedauert es, dass die Angst vor der Begegnung mit Armut und Elend so groß ist, dass dieser Ort gemieden werde. „Alle wissen von diesem Ort, aber sehr sehr wenige haben den Mut, an diesen Ort zu gehen“, ergänzt Uschi Jagemann.

 

Auffällig ist die hohe Motivation der dortigen Mitarbeitenden. Mit ihrer Freundlichkeit und Zugewandtheit wird dieser Ort erst erträglich. Mit sehr wenigen Mitteln wird den Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Projektes eine liebevolle Atmosphäre so gut wie möglich gestaltet.

 

Unmittelbar angrenzend an das Stadtzentrum von Lissabon gibt es den „Hüttenstadtteil“ Serafina, in dem ca. 10.000 Menschen wohnen. Sie leben in Hütten, meist ohne Wasser. Neben diesem Hüttenstadtteil hat die katholische Kirche die Anlage São Vicente de Paulo errichtet. Sie besteht aus einer Kirche einem Altenheim und Tagesaufenthalt für ältere Menschen, einer Kinderkrippe, einem Kindergarten, einem Hort und Jugendräumen für die Menschen in diesem Stadtteil. Uschi Jagemann trägt von der Küche dieser Einrichtung aus Essen zu Menschen, die in diesem Hüttenstadtteil leben, aus. Auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Lage muss auch hier um die finanziellen Mittel sehr gekämpft werden. Ein Nachfolger für den leitenden Priester ist nicht in Sicht. „Und zwei Täler weiter, gibt es nochmals so einen Stadtteil, nur in Wellblech“, sagte sie.

 

Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise sind in Portugal noch gar nicht absehbar. Die Arbeitslosigkeit beträgt 18 Prozent, im öffentlichen Bereich reichen die Sparmaßnahmen der Regierung bis in jede Familie. Das Sozialsystem ist mit dem Steuersystem verbunden, da die Steuereinnahmen sinken, sinken auch die Einnahmen für die sozialen Bereiche. Gleichzeitig berichtet der Kämmerer der Kirchengemeinde, dass er in seiner Kanzlei bei Verträgen schon  Klauseln für den Fall zu formulieren hat, dass eines Tages Portugal aus dem Euro austreten muss. Hoffnung zu haben, fällt so schwer. Aber die Deutsche Evangelische Gemeinde in Lissabon ist in intensiven Gesprächen, sich gut darauf einzustellen und ihre Zeichen der Hoffnung zu setzen.

 

Zur Einführung als neue Gemeindekirchenräte erhalten Klaus Essling, Andreas Müller und Sanne Burger eine Kerze vom Pastorenehepaar Stefan und Anke Stalling überreicht. Die Kirchenältesten Frank Tischler (l.), Uschi Jagemann (2. v. r.) und der Vorsitzender des Gemeindekirchenrates Stephan Stieb (r.) assistieren.
Die Kirche der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Lissabon mit dem angrenzenden Gemeinde- und Pfarrhaus.
Stefan Stalling unterrichtet eine 10. Klasse in der Deutschen Schule in Lissabon.
In einer Holzwerkstatt vom Centro de Apoio Social do Pisão in Alcabideche wird einfaches Kunsthandwerk gefertigt.
Blick in einen Schlafsaal für Männer im Projekt Centro de Apoio Social do Pisão in dem zehn Männer nächtigen.
Szene aus dem illegal errichteten Ortsteil Serafina. Die illegal errichteten Gebäude stehen am Hang unterhalb des historischen Aquäduktes, der das Tal überzieht.
An einer Bushaltestelle im Ortsteil Serafina. Fotos: ELKiO/Hans-Werner Kögel