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Ellen Matzdorf hilft in den extremsten Situationen des Lebens: Bei der Geburt und beim Sterben. Für die Hebamme, Sterbebegleiterin und Bestatterin sind das zwei Teile des Ganzen, weil für sie Leben und Tod zusammengehören.

Oldenburg (epd). Ellen Matzdorf kombiniert das scheinbar Unvereinbare - Leben und Tod. Sie ist Hebamme und Bestatterin. «Das ist für mich überhaupt kein Widerspruch», sagt die resolute Frau und lacht auf. Sie kann schon nicht mehr zählen, wie oft sie danach gefragt wurde, wie sie beides vereinen kann. Doch der Beginn war alles andere als lustig.

25 Jahre lang hat Matzdorf als Hebamme dabei geholfen, Kinder zur Welt zu bringen - bei Hausgeburten, im Geburtshaus oder in einer Klinik. «Wenn das Kind kommt und seinen ersten Atemzug macht, das ist schon ein magischer Moment.» Es war ihr immer wichtig, den Frauen bis zum Schluss die Entscheidung zu überlassen, wie das Kind zur Welt kommen sollte.

«Aber nicht alle Kinder erleben oder überleben ihre Geburt», weiß Matzdorf. Als 2018 eine Schwangere zu ihr kommt, die sie von einer früheren Geburt kennt, ist schnell klar, dass etwas nicht stimmt. Ein Arzt stellt per Ultraschall fest, dass das Kind keine Speiseröhre hat. Als dann die Fruchtblase platzt und das Kind viel zu früh auf die Welt kommt, stellen die Ärzte fest, dass dem Jungen auch die Luftröhre fehlt. Damit ist sein Tod nicht zu vermeiden. Der Mutter sei es gelungen, sich von dem sterbenden Kind auf ihrem Bauch zu verabschieden. «Doch was dann folgte, war für die Eltern fast noch schlimmer.»

Die Eltern dürfen den Kleinen nicht einmal für ein paar Stunden mit zu sich nach Hause nehmen. Dass der weiße Kindersarg von den Eltern bemalt wird, lehnt der Bestatter ab. Auch dem Wunsch der Eltern zu folgen, der kleine Junge solle im Grab seiner Großmutter mit beigesetzt werden, ist aufgrund «irgendwelcher Ordnungen» nicht möglich. «Da habe ich mir gedacht, das muss auch anders gehen, ohne dass die Wünsche trauernder Eltern an seltsamen Vorgaben scheitern», sagt Matzdorf. «Und so wurde ich auch Bestatterin.»

Mittlerweile ist Ellen Matzdorf dafür bekannt, dass sie, wenn irgend möglich, die Wünsche der Hinterbliebenen erfüllt. Dass Särge und Urnen von Angehörigen selbst gestaltet werden können, ist bei ihr selbstverständlich. «Es gibt zahlreiche Aufgaben, die erledigt werden können und die den Hinterbliebenen einen gewissen Trost spenden, ihnen das Gefühl geben, für die Toten noch etwas Gutes zu tun.»

Selbst der letzte Weg zum Grab darf bei Matzdorf unkonventionell sein: Als sie einen stadtbekannten Radfahrer bestattet, wird der Sarg auf einem eigens für den Transport von Särgen konstruierten Lastenrad des Oldenburger Künstlers Michael Olsen durch die Stadt gefahren.

Ihre Hauptaufgabe sieht Matzdorf in der Betreuung von Müttern, deren Kind im Mutterleib oder kurz nach der Geburt gestorben ist. «Manche Frauen bekommen bei der Pränatal-Untersuchung die Diagnose an den Kopf geknallt, dass ihr Kind nicht lebensfähig sei, dieses oder jenes Syndrom oder eine Krankheit hat, zumindest aber, dass es für das Kind eine schlechte Überlebensprognose gibt.» Viele dieser Mütter fühlten sich alleingelassen und oft auch als Versagerin, weiß Matzdorf aus Erfahrung. Die psychische Belastung sei für die Frauen ungeheuer groß.

Oft müssten sie auch noch auf die Betreuung durch eine Hebamme verzichten. Manchmal stehe die Hebamme nicht mehr zur Verfügung, weil ja kein Baby mehr da sei. «Aber das ist völlig falsch», sagt Matzdorf. Auch wenn kein Kind mehr da sei, sei die Frau doch schwanger gewesen und benötige eine intensive Nachsorge. «Da springe ich dann ein, mache bei diesen Müttern und Eltern die Hebammenarbeit. Ich kann medizinisch unterstützen und nach der Obduktion des Kindes die Fremdwörter übersetzen und erklären. Und ich kann bei den wichtigen Dingen im Wochenbett unterstützen.»

Ellen Matzdorf hat ein bewegtes Berufsleben hinter sich. Sie hat Menschen mit einer schweren Behinderung betreut, arbeitet als Hebamme, begleitet Sterbende und bestattet die Toten. Dies alles hat sie in einem Buch mit dem Titel «Vom ersten bis zum letzten Atemzug» aufgeschrieben. Warum sie das alles auf sich nimmt? «Es gibt Momente, da fragt mich jemand, ob ich dabei bin, ob ich helfen kann und dann bin ich einfach da», sagt Matzdorf und fügt an: «Ich fühle Führung durch eine höhere Kraft, auf die ich mich verlassen kann. Das lässt mich darauf vertrauen, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin.»