Und es geschah plötzlich ein Brausen von Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Apostelgeschichte 2,2-4
Die Corona-Pandemie hat die USA hart getroffen. Dafür stehen nicht nur die Bilder von Kühllastern, in denen die Toten aufbewahrt werden, weil die Leichenhallen überfüllt sind. Jetzt gibt es nun auch eine Zahl, die das Ausmaß der Katastrophe anschaulich macht: 100.000. Mittlerweile hat die Zahl der Todesopfer in den USA diese Marke bereits überschritten, und Experten schließen mittlerweile nicht mehr aus, dass die Zahl der Toten im August auf über 130.000 steigen könnte. Dazu noch eine weitere Zahl: mehr als 40 Millionen US-Amerikaner haben bereits im Zusammenhang mit der Pandemie ihren Job verloren und sind auf öffentliche und private Unterstützung angewiesen. Das soziale Sicherungssystem ist in den USA, verglichen mit den westeuropäischen Ländern, nur schlecht ausgebildet. Die Arbeitslosigkeit bedroht die Mittelschicht und kann schnell in den persönlichen Ruin führen. Die Schlangen vor den Ausgabestellen für Lebensmittel werden täglich größer, berichtet mir ein Bekannter, sich zurzeit in Chicago aufhält.
Natürlich sind nicht nur die USA von der Corona-Pandemie betroffen. Das Virus hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt, indem es sich still und unsichtbar unter der Menschheit ausbreitet. Es verbreitet Chaos und Schrecken, Millionen von Menschen erkranken. Hunderttausende sind bereits am Corona-Virus verstorben, und es steht zu befürchten, dass das Sterben weitergehen wird. Noch ist nicht einmal auszumachen, wann es eine Therapie oder einen Impfstoff geben wird: in sechs Monaten? Oder in einem oder zwei Jahren? Wir müssen akzeptieren, dass die Krise und mit ihr die Unsicherheit angekommen sind. Und wir müssen lernen, damit umzugehen. Kann das Virus als Symbol für eine epochale Veränderung unseres Lebens verstanden werden, aus der neue Formen etwa des Wirtschaftens oder des gesellschaftlichen Zusammenlebens entstehen müssen?
Das Corona-Virus erinnert uns daran, dass es Wirklichkeiten gibt, derer wir eben nicht Herr werden können. Zum Leben gehören Heimsuchungen und Ungewissheiten dazu. Das Virus befragt auch den christlichen Glauben und die christliche Theologie: Können wir angesichts der Gefährdung unseres Daseins überhaupt noch wagen, auf Gott zu vertrauen?
Eine völlig andere epochale Veränderung beschreibt die Bibel als Herabkunft des Heiligen Geistes mit dramatischen Worten. Die früheren Jünger Christi hielten sich aus Angst in einem Haus versteckt. Zungen, zerteilt und wie von Feuer: zunächst erschraken die Jünger zutiefst angesichts dessen, was sie sehen konnten oder mussten. Dann fassten sie Mut, vermutlich zunächst zögernd und tastend, wie es nun mal ist, wenn man mit dem Ungewissen, dem völlig Neuen und dem nicht Planbaren konfrontiert wird. Doch schließlich konnten sie gerade angesichts der ungeheuren Geschehnisse die erlösende Botschaft von Jesu Auferweckung verkündigen. Sie konnten dazu auch Sprachbarrieren und kulturelle Grenzen überwinden, das Evangelium sollte sich weiter ausbreiten. Die Kirche ist in die Welt eingetreten, trotz allen Durcheinanders, trotz des Chaos, mit denen die ersten Jünger konfrontiert sind. Und die Kirche verkündet bis heute eine lebensverändernde und befreiende Botschaft, in allen Sprachen und jenseits aller kulturellen und nationalen Grenzen.
Die Apostelgeschichte beschreibt die Herabkunft des Heiligen Geistes als räumlich und zeitlich abgegrenztes Ereignis. Schon allein deshalb kann dieses Geschehen nicht irgendwie mit der Ausbreitung der Corona-Pandemie eins zu eins verglichen werden. Aber können nicht beide Ereignisse als Symbole für epochale und tiefgreifende, alles Leben betreffende Veränderungen verstanden werden? Dann kann ich die Herabkunft des Heiligen Geistes als eine Geschichte von Hoffnung und Vertrauen lesen. Denn entgegen allem Durcheinander und allem Chaos haben die ersten Jünger den Mut gefunden, die befreiende Botschaft von der Auferweckung Jesu zu verkündigen. Und sie haben verkündigt, dass Gottes Geist den Mut und die Kraft gibt, sich im Vertrauen auf ihn dem Leid und dem Schmerz zu stellen, trotz aller Unordnung und aller Anarchie. Warum sollten wir diesen Sprung hinein in das Vertrauen gerade jetzt nicht wagen, wo er doch so nötig, hilfreich und stärkend sein kann? Meine Hoffnung liegt darin, dass der Geist Gottes uns zur praktischen Solidarität mit denen befähigt, die leiden und die keinen Zugang zu gesellschaftlichen – und medizinischen – Versorgungssystemen haben. Und ist es nicht als Geistesgeschehen zu verstehen, wenn es gelingt, in der Corona-Pandemie über Grenzen hinweg zu kooperieren, um Not zu lindern und Krankheit und Schmerzen zu bekämpfen?
Pan-demie: der Begriff setzt sich zusammen aus zwei griechischen Wörtern, „pan“ für ganz oder allumfassen, und „demos“ für das Volk. Auch der Geist Gottes ist „pan-demos“. Er überwindet alle Grenzen und berührt alle Menschen. Dabei schenkt er Leben und bringt nicht den Tod. Darauf dürfen und können wir vertrauen. Und wir dürfen darauf hoffen, dass sich im Kampf gegen die Pandemie auch die ganze Erde erneuert. Amen.
Vertrauen wagen(EG 607, Baltruweit / Baltruweit)
Vertrauen wagen dürfen wir getrost,
denn du, Gott, bist mit uns, dass wir leben.
Unrecht erkennen sollen wir getrost,
denn du, Gott, weist und den Weg einer Umkehr.
Schritte erwägen können wir getrost,
denn du, Gott, weist uns den Weg deines Friedens.
Glauben bekennen wollen wir getrost,
denn du, Gott, weist uns den Weg deiner Hoffnung.
Vertrauen wagen dürfen wir getrost,
denn du, Gott, bist mit uns, dass wir lieben.