Sonnen, Blumen und Ähren: Ukrainer bemalen ihre Ostereier nach einer jahrhundertealten Tradition, die seit 2024 Weltkulturerbe ist. Beim gemeinsamen Verzieren in der Exil-Gemeinde St. Wolodomyr in Hannover sind viele in Gedanken in der Heimat.
Hannover (epd). Im Altarraum der Kirchengemeinde St. Wolodomyr in Hannover herrscht bemerkenswerte Stille. Rund 30 aus der Ukraine geflüchtete Frauen und Kinder sind an diesem Wochenende Anfang April in den sonnendurchfluteten Raum der «Ukrainischen griechisch-katholischen Personalpfarrei» gekommen, um Eier für das Osterfest zu gestalten. Sie arbeiten hoch konzentriert. Und das nicht nur, weil die ausgepusteten Eier in ihrer Hand zerbrechlich sind, sondern auch, weil die Technik anspruchsvoll ist, mit der in der Ukraine seit Jahrhunderten traditionell Eier verziert werden.
Sonnen, Blumen, Blätter, Ähren, Wellen werden mit Bleistift vor- und einem heißen Wachstift nachgezeichnet. Die Muster und Symbole stehen für das Leben, für die Erde, Gesundheit, Liebe oder Glück. Danach werden die Eier zunächst in gelbe, später in rote, grüne oder blaue Farbe getaucht. Das Schicht für Schicht aufgetragene Bienenwachs wird jeweils nach dem Trocknen der Farben entfernt, sodass verschiedenfarbige Muster hervortreten.
Alina ist fast fertig. Ihr Ei ist zartrosa. Vorsichtig führt die 14-Jährige es an ein Teelicht, das auf dem Tisch vor ihr steht, um die zuvor aufgetragene Wachsschicht zu erwärmen und mit einem Tuch abzuwischen. Ein Fisch wird sichtbar. «Ich glaube, das steht für Essen», sagt das Mädchen leise und schaut zur Vorsicht lieber noch einmal in ihr Handy. Dort hat sie eine Liste mit den ukrainischen Symbolen abgespeichert. Sie lächelt: «Ja, Fisch bedeutet Essen.» Mit Alina sitzen ihr neunjähriger Bruder Jena sowie Sofia, Zlata und Khrystyna am Tisch. Sie sind wie Alina vor rund drei Jahren vor dem russischen Angriffskrieg mit ihren Müttern nach Deutschland geflohen.
«Die Ostereier kommen zusammen mit Käse, Wurst, Salz und Osterkuchen in einen Korb», erzählt die zehnjährige Zlata. Das sei genau wie früher in der Ukraine. «Der Korb wird gesegnet und zu Hause gibt es ein großes Festessen.» Sofia nickt voller Vorfreude. Die Elfjährige freut sich, dass die ukrainischen Ostereier Aufmerksamkeit bekommen. «Das ist eine tolle Anerkennung unserer Tradition», sagt sie stolz.
Ende 2024 hat die Unesco die ukrainische Kunst des Eierverzierens «Pysanka» in die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Das Verschenken der sogenannten Pysankas, der bemalten Eier, habe für die Ukraine - unabhängig von ihrer Religion - eine große Bedeutung, schreiben die Vereinten Nationen. Die Maltechnik sei ein wichtiges Ritual für die Ukrainer und tief in ihrer Identität verwurzelt.
Das bestätigt Katharina Maistrenko. Sie trägt die Uniform der ukrainischen Pfadfinder und steht Müttern und Kindern in der orthodoxen Pfarrei an diesem Nachmittag mit Rat und Tat beiseite. Geduldig erklärt sie die Technik und hilft vor allem den Kindern, wenn etwas nicht klappt.
«Es ist gerade jetzt wichtig, dass wir unsere Wurzeln kennen und Traditionen pflegen», sagt Maistrenko. Schon zu Sowjetzeiten, als sie klein gewesen sei, sei versucht worden, ukrainische Traditionen zu verbieten und die Identität der Ukrainer auszulöschen. «Ich durfte keine Farbe vom Ostereierbemalen an meinen Händen haben, das war gefährlich.»
Durch die Reihen des provisorischen Kirchenateliers schreitet auch Roman Maksymtsiv und betrachtet, wie aus weißen, schlichten Hühnereiern farbenfrohe, detailreiche Kunstwerke werden. Maksymtsiv ist seit 2004 Pfarrer in der Pfarrei St. Wolodymyr, die für ganz Niedersachsen zuständig ist. Er weiß, dass die Situation auch mehr als drei Jahre nach Kriegsbeginn für die Menschen schwierig ist.
«Einerseits sind sie glücklich, in Sicherheit zu sein, manche haben Arbeit gefunden, die Kinder gehen in die Schule», sagt Maksymtsiv. Andererseits seien da große Sorgen um die Männer, um Familienmitglieder und Freunde, die noch in der Ukraine sind. Maistrenko nickt. Sie pendelt zwischen der Ukraine und Deutschland, um sowohl bei ihrer Mutter und ihrer neunjährigen Tochter, die nach Deutschland flohen, als auch bei ihrem Mann in der Ukraine sein zu können.
Marija Maksymtsiv, die Frau des Pfarrers, sagt, Angst und Trauer seien ständige Alltagsbegleiter der ukrainischen Gemeindemitglieder. Es gebe niemanden, der im Krieg nicht jemanden verloren habe. «Egal, was wir tun, die Traurigkeit ist immer da, niemand kann den Schalter einfach umlegen.»
Deshalb seien gemeinsame Aktionen wie das Ostereierverzieren auch für die psychische Widerstandskraft wichtig, sagt Marija Maksymtsiv: «Zusammensein tröstet.» Die fokussierte Arbeit an den Ostereiern halte zudem das Gedankenkarussell für eine Weile an und helfe den Menschen, abzuschalten. Drei bis vier Stunden dauert es selbst für erfahrene Pysanka-Künstler, bis ein Osterei fertig ist. «Das ist wie Meditation, sehr heilsam.»