Hannover/Bad Bederkesa (epd). Durch die Invasion der russischen Streitkräfte in der Ukraine rufen verstärkt Menschen mit Ängsten bei der Telefonseelsorge in Deutschland an. «Das ist wirklich hochgeschnellt. Es geht um Ängste vor einem Weltkrieg und ganz stark um Zukunftsängste, die durch die Corona-Pandemie sowieso schon da waren», sagte der Beauftragte der hannoverschen Landeskirche für die Telefonseelsorge, Daniel Tietjen, am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Seit Beginn der Invasion werde bundesweit in einem Fünftel der Gespräche der Krieg in der Ukraine thematisiert, bilanzierte Tietjen. «Unter den Älteren rufen Menschen an, die sich an eigene Kriegserfahrungen erinnern und dachten, dass sie so etwas auf europäischem Boden nicht mehr miterleben müssen. Unter den Jüngeren fragen sich viele, wie es nun weitergeht, was Fixpunkte sein können, worauf man sich in dieser Welt überhaupt noch verlassen kann.» Etliche seien auch finanziell betroffen und fragten sich beispielsweise, wie sie ihre Heizkosten noch bezahlen sollen.
«Zu Beginn der Pandemie schnellten zwar auch die Ängste hoch», blickte Tietjen zurück. «Aber jetzt im Krieg ist es erschreckend, wie massiv die Ängste auf einmal sind, wie konkret eine Bedrohungslage entsteht, von der ich gar nicht weiß, was das für mich bedeutet - und die emotional viel in mir auslöst, wenn ich erlebe, wie Menschen in Not sind, flüchten oder sogar sterben.» Besonders bei den Menschen, die ohnehin schon belastet seien, «wird es noch wackeliger».
In dieser Situation sei es in erster Linie wichtig, den Anrufenden zuzuhören. «Dadurch ändert sich etwas, das erleben unsere Ehrenamtlichen oft», verdeutlichte Tietjen, der auch die Telefonseelsorge Elbe-Weser mit Sitz im niedersächsischen Bad Bederkesa leitet. So seien anfangs viele Gesprächsverläufe schnell. «Im Verlauf wird es dann ruhiger, das Gespräch wirkt entlastend. Insofern ist die Telefonseelsorge vielfach ein Stabilitätsanker.»
Bei der Frage, was gegen die Ängste getan werden könne, gehe es darum, der Ohnmacht mit Selbstwirksamkeit zu begegnen. «Wir fragen danach, was die Anrufenden in Krisensituationen bisher selbst als hilfreich empfunden haben: vielleicht bewusst eine Nachrichtenpause einlegen, sich in Hilfsnetzwerken einbringen, auf der Straße in Gemeinschaft gegen den Krieg die Stimme erheben.» Was mögliche Hilfen angehe, so gebe die Telefonseelsorge grundsätzlich keine Tipps, sondern versuche, «auf der Landkarte des Ratsuchenden zu bleiben». Das könne auch über eine offen formulierte Frage geschehen.
Allein in den sechs Telefonseelsorgestellen der hannoverschen Landeskirche in Bad Bederkesa, Soltau, Göttingen, Wolfsburg, Osnabrück und Hannover sind im vergangenen Jahr fast 49.000 Gespräche am Hörer geführt worden. Zum bundesweiten Telefonseelsorge-Netzwerk gehören insgesamt 104 Stationen mit mehr als 7.700 Ehrenamtlichen.