„Der Umgang mit Vielfalt ist die wesentliche Frage für unser Land. Entweder es gelingt oder wir gehen auf schwierige Zeiten zu“, so deutlich formulierte Nikolaus Schneider bei seinem Besuch in Delmenhorst die Bedeutung seines Vortragsthemas. Der frühere EKD-Ratspräsident sprach über „Vielfalt und Zusammenhalt - was ist wichtig in einer pluralen Gesellschaft?“
So unterschiedlich seien die Menschen in Deutschland wohl noch nie gewesen, umriss Schneider die Herausforderung. Wichtig seien daher nun Respekt, Akzeptanz und Toleranz. Derzeit sehe er das solidarische Miteinander in Deutschland und Europa gefährdet, warnte er. Doch gleichzeitig erlebe er eine großartige Hilfsbereitschaft, die er so nicht für möglich gehalten hätte.
Die Herausforderung, vor der Deutschland und Europa durch die Flüchtlingszahlen stehen, ist für Schneider unbestritten. Und nach den Grenzen der Belastbarkeit zu fragen, ist für ihn legitim, machte er vor dem Publikum in der Stadtkirche deutlich. Doch er erklärte auch: „Wir könnten die Herausforderung durchaus lösen, wäre die Europäische Union bereit, sich diesem Thema solidarisch zu stellen.“ Doch diese Solidarität gibt es derzeit nicht. Vielmehr befürchtet Schneider, dass die EU vom Zerfall bedroht sei.
So ernst Schneider konkrete Bedenken bei der Bewältigung der Situation nimmt, so deutlich wendete er sich gegen übertriebene Stimmungsmache. „Wir können nicht davon sprechen, dass unser Land im Chaos versinkt“. Erschrocken nehme er aber wahr, dass sich in Deutschland ein neuer Rechtsextremismus ausbreite, sagte Schneider. Und dieser reiche auch bis in manche Kirchengemeinde hinein.
Für ein gelingendes Zusammenleben fordert Schneider eine „Nachhaltige Respekt-Toleranz“. Diese sei zwar anstrengend, aber notwendig. „Wir brauchen verbindliche Grundlagen für die Toleranz, damit wir diese nicht mit Beliebigkeit verwechseln“, machte er deutlich. Diese Grundlage sei das Grundgesetz. Und da wo gegen diese Grundlage verstoßen werde, liegen auch die Grenzen der Toleranz. Sowohl im Bezug auf Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie als auch bei Straftaten von Flüchtlingen. Für Schneider sind alle Christen zum Widerstand gegen jede Form des Rassismus aufgerufen. Es dürfe auch gegenüber Mitläufern kein verharmlosendes Verständnis geben, denn diese ermöglichten erst die Taten der anderen.
Die Solidarität mit Fremden und Flüchtlingen begründet sich für Schneider klar in der Bibel. Jede Form von Fremdenfeindlichkeit verletzte die Gleichheit aller Menschen vor Gott. Und er betonte: Glaubensgewissheit gehe dabei mit Toleranz einher. Denn wer sich seines Glaubens sicher sei, könne den Pluralismus als Chance sehen, ohne sich durch eine andere Religion oder Kultur bedroht zu fühlen. Glaubensgewissheit bedeute aber nicht, die Religion keiner kritischen Hinterfragung mehr zu unterziehen. Sonst werde Religion zum Nährboden von Intoleranz. Diese kritische Hinterfragung brauche auch der Islam. Deshalb sei es so wichtig, dass auch an deutschen Universitäten Islamwissenschaftler tätig sind. „Die islamisch geprägten Flüchtlinge werden unser Land verändern“, machte Schneider deutlich. Wichtig sei, dass dabei das Grundgesetz geachtet werde. Besonders Augenmerk müsse auf den Antisemitismus gerichtet werden, den viele Flüchtlinge mit in unser Land bringen. „Wir müssen ihnen erzählen, was in unserer Geschichte passiert ist und das wir in diesem Punkt intolerant sind“, machte Schneider deutlich. Schneider wünschte sich zum Abschluss seines Vortrages, die vorhandenen Probleme mit der Einstellung anzugehen „Wir können das schaffen“ und bekam dafür von den Zuhörern großen Applaus.
Anschließend stellte sich Schneider den Fragen der knapp 100 Zuhörer. Von der Kritik an deutschen Waffenlieferungen, über fehlende Deutschkenntnisse bei Imamen und die Vermittlung von Toleranz wurden dabei zahlreiche Fragen zu dem komplexen Themenbereich Vielfalt und Zusammenhalt sowie der aktuelle Flüchtlingssituation berührt. Pastor Thomas Meyer von der Stadtkirche machte deutlich: „Dies ist ein Thema, das unsere Stadt beschäftigt.“ Immerhin haben in Delmenhorst 27 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund.
Kerstin Kempermann