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Vier von zehn alleinerziehenden Familien in Deutschland sind laut der Bertelsmann Stiftung armutsgefährdet. Und das, obwohl die meisten der alleinerziehenden Eltern erwerbstätig sind. Besonders hoch liegt der Anteil in Bremen.

Hannover/Bremen (epd). Fast jede zweite alleinerziehende Person in Niedersachsen (43 Prozent) ist einer Studie zufolge von Armut bedroht. In Bremen sind es sogar mehr als die Hälfte (rund 55 Prozent), wie die am Dienstag in Gütersloh veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung ergibt. Damit hat der Stadtstaat deutschlandweit die höchste Armutsgefährdungsquote bei Alleinerziehenden. Verbände kritisierten Taten- und Ideenlosigkeit vonseiten der Politik.

Bundesweit gelten 700.000 Familien mit nur einem Elternteil als einkommensarm, wie die Stiftung im «Factsheet Alleinerziehende» aufzeigt. Das seien mehr als 40 Prozent. Bei den Paarfamilien seien bei einem Kind 8 Prozent armutsgefährdet, bei drei und mehr Kindern seien es rund 30 Prozent. Für alleinerziehende Mütter sei das Armutsrisiko besonders hoch. Expertinnen der Stiftung mahnten «eine grundsätzliche Neubestimmung» der Leistungen für Familien an.

Knapp die Hälfte aller Kinder, die in einer Familie mit Bürgergeldbezug aufwüchsen, lebten mit nur einem Elternteil zusammen, erklärte die Stiftung. Der Anteil von alleinerziehenden Haushalten, die Bürgergeld beziehen, sei in Bremen mit 55 Prozent am höchsten und in Thüringen mit 27 Prozent am niedrigsten. In Niedersachsen liege er bei rund 40 Prozent. Insgesamt machten Alleinerziehende in Bremen gut 23 Prozent und in Niedersachsen knapp 20 Prozent der Familien aus.

Die meisten von ihnen seien trotz Erwerbstätigkeit armutsgefährdet, hieß es. Mehr als 70 Prozent der alleinerziehenden Mütter und 87 Prozent der alleinerziehenden Väter gingen einer Arbeit nach. Für alleinerziehende Mütter sei das Armutsrisiko besonders hoch, erläuterte die Stiftung. Zudem schulterten sie den Großteil der Kinderbetreuung und -erziehung. Wesentlicher Grund für eine finanziell schwierige Situation vieler Alleinerziehenden seien ausfallende Unterhaltszahlungen.

Trotz einzelner sinnvoller Maßnahmen, wie Reformen des Unterhaltsvorschusses und des Kinderzuschlags, sei es noch immer nicht gelungen, die Situation entscheidend zu verbessern, sagte die Expertin für Familienpolitik bei der Bertelsmann Stiftung, Antje Funcke. Rund 1,7 Millionen Familien seien im Jahr 2023 alleinerziehend gewesen, erklärte die Stiftung. Einen Anstieg habe es unter anderem durch Geflüchtete aus der Ukraine gegeben. Unter ihnen befänden sich viele Mütter mit ihren Kindern.

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) sowie die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie (EAF) forderten die Bundesregierung auf, Alleinerziehende steuerlich stärker zu entlasten, etwa durch eine Steuergutschrift. Die Diakonie forderte einen Ausbau der Kinderbetreuung und familienfreundlichere Arbeitszeiten. Es sei ein Skandal, dass die Bundesregierung die Armut von Familien und deren Kindern nicht endlich beende, sagte die Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, Maria Loheide.

Für die Landesarmutskonferenz in Niedersachsen wies Geschäftsführer Fabian Steenken, LAK-Geschäftsführer, auf die grundsätzlichen Konsequenzen der wachsenden Spaltung zwischen Arm und Reich hin. «Seit Jahren verweigert die Politik nachhaltiges Handeln gegen Armut», kritisierte Steenken. «Armut und die daraus folgende Bedrohung von Demokratie ist kein Naturphänomen, sondern ein politischer Prozess und politisch veränderbar.»

Der Sozialverband Deutschland in Niedersachsen (SoVD) forderte von der rot-grünen Landesregierung nicht nur bessere Betreuungs- und Bildungsangebote, sondern auch eine Eindämmung des Niedriglohnsektors. Es gelte, insbesondere den Kindern gerechte Startchancen in ihr Leben zu bieten, sagte SoVD-Vorstand Dirk Kortylak. Anstatt das Problem engagiert zu bekämpfen, werde die Situation für alleinerziehende Familien immer schlimmer. «Jedes Kind muss faire und gerechte Chancen bei der Bildung und bei Freizeitaktivitäten haben. Deshalb ist es wichtig, die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern.»

Die Bertelsmann-Stiftung empfiehlt für eine Verbesserung für Alleinerziehende, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Dazu gehörten gute Kitaplätze und eine verlässliche Ganztagsbetreuung in der Schule. Ebenso wichtig seien flexiblere Arbeitszeitmodelle seitens der Unternehmen. Zudem sollte die Politik Anreize für Väter erhöhen, mehr Verantwortung für ihre Kinder und Care-Arbeit zu übernehmen. Nötig ist nach Einschätzung der Stiftung auch eine bessere finanzielle Unterstützung.

Als einkommensarm gelten laut der Stiftung Kinder, die in einem Haushalt leben, der Sozialleistungen erhält. Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des gemittelten Einkommens verfügten, würden als armutsgefährdet eingestuft. Für das «Factsheet Alleinerziehende» wurden unter anderem Daten vom Statistischen Bundesamt und der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2023 verwendet.