Liebe Leserinnen und Leser,
Sonntag, 11:00 Uhr. Die Drei standen noch auf dem Kirchplatz beisammen, vorschriftsmäßig und schön brav in zwei Meter Abstand voneinander. „Das war ein schöner Gottesdienst“, sagte die Erste. „Endlich wieder gemeinsam feiern – nach so langer Zeit!“ Die zweite fügte hinzu: „Dabei war der Gottesdienst ganz anders. Singen zum Beispiel konnten wir ja nicht, aber gesummt habe ich die Lieder zusammen mit dem Klang der Orgel. Ganz leise. Und meine Nachbarin zwei Meter weiter machte es auch so.“ Der Dritte meinte: „Die Meditationsmusik, als es auf einmal alles ganz leise wurde und die Pfarrerin zur Musik das Gedicht las, da rieselte es mir den Rücken herunter. Da gingen mir Wort und Musik durch Kopf und Herz.“
„Singt dem Herrn ein neues Lied!“, sagt der erste Vers aus Psalm 98. Musik ist lebendig und sie kommt – die Zeiten bringen es mit sich – ganz anders daher. Nun wird Außergewöhnliches ausprobiert, gewagt, experimentiert. Ohne Singen. Allein Musik von der Orgel, vom Klavier, manchmal aus dem Lautsprecher. Und die Zuhörenden schweigen, lauschen, halten inne. Die Pastorin rezitiert die alten Psalmworte, Musik erklingt leise im Hintergrund. Der Lektor liest das vertraute Lied, in spannungsvollem Ton – und wir hören es ganz neu. Eine Konfirmandin berichtet, warum ihr dieses Lied zum Lieblingslied wurde. Sie liest die Verse, summt sie leise vor – mehr darf sie nicht. Noch nicht. Aber alle verstehen und singen im Herzen mit.
Ob wir still, summend, hörend oder in Gedanken „singen“, wichtig ist allein, dass wir Gott danken und loben in unserem Herzen.
„Die singen ja!“ – ruft Kaiser Nero in einem Spielfilm über das alte Rom. Christen werden vor seinen Augen in die römische Arena geführt. Ihr Tod ist beschlossen. Wilde Tiere werden sie zerfleischen. Es wäre zu erwarten gewesen, dass sie zitternd, fluchend oder um Gnade winselnd einziehen. Der Kaiser hatte die Christen demütigen und ihre Erbärmlichkeit zur Schau stellen wollen. Doch sie kommen erhobenen Hauptes und loben Christus, ihren Herrn. Nero tobt auf der Ehrentribüne. Der Gesang geistlicher Lieder bringt die Gegner des Glaubens außer Fassung. „Singt dem Herrn ein neues Lied!“
Wo Christen singen, da wird es für die Gegner des Glaubens eng. Wo wir alternativ musizieren, wo neue Klänge durch die Räume schwingen, wo wir Liedtexte lesen und all die verschiedenen Musikinstrumente zum Klingen bringen, verliert die Angst vor dem Virus seine Macht.
Nicht nur damals war das so, als die musizierenden Priester die Stadt Jericho siebenmal umrundeten, so dass die Stadtmauern einstürzten.Oder in Zeiten als Nero regierte. Auch unser „stilles Singen“ heute strahlt eine Gelassenheit und Freude aus, um die manche Glaubensverächter uns insgeheim beneiden. Im stillen Gotteslob schwingt der Sieg des Glaubens mit.
Sonntag, 11:00 Uhr. Die Drei standen noch auf dem Kirchplatz beisammen, vorschriftsmäßig und schön brav in zwei Meter Abstand voneinander. „Ich werde jetzt zuhause singen!“, sagte die eine. Die zweite meinte: „Ich hole meine alte Flöte raus.“ Und so verabschiedeten sie sich. Und auch der Dritte wusste, was er sich nun vornehmen würde. Amen.
Ein Andacht von Pfarrer Dr. Stefan Welz