Gestern war der 1. März, der meteorologische Frühlingsanfang. Die dunkelste Zeit des Jahres liegt gerade hinter uns. Die ersten Frühlingsvorboten sind schon seit ein paar Wochen da. Unseren Augen noch verborgen kämpften sich die Schneeglöckchen unter dem Schnee durch den fest gefrorenen Boden. Auf Französisch heißt Schneeglöckchen „perce-neige“ („die sich durch den Schnee bohrt“). Es ist ein kleines Wunder, dass in der kleinen Blumenzwiebel alles steckt, was die Pflanze zum Wachsen und Blühen an Nährstoffen braucht. Sie kann mithilfe ihrer Zwiebel durch eingelagerte Salze Wärme erzeugen und dadurch den gefrorenen Boden um den Blütenstiel herum einige Millimeter auftauen.
Auch Dietrich Bonhoeffer war fasziniert von der Kraft dieses Pflänzchens und hat einmal formuliert: „Ich wünsche dir die Lebenskraft des Schneeglöckchens, das sich von Kälte, Eis und Schnee nicht unterkriegen lässt und zu seiner Zeit blüht“. Diese kleinen Blumen sind ein Hoffnungszeichen. Sie machen deutlich, dass das Leben sich trotz aller schweren Erfahrungen und Herausforderungen nicht unterkriegen lässt. Das Leben entfaltet sich neu, auch wenn wir uns das kaum vorstellen können. Oft geschieht das im Kleinen, ganz unscheinbar und kaum zu sehen. Und doch geschieht es. Wir müssen nur genau hinsehen um es zu entdecken. Das kann Hoffnung geben und Mut machen zu vertrauen in Gott und seine Möglichkeiten und in die Kraft, die uns geschenkt ist.
Zum genauen Hinsehen fordern auch folgende Worte heraus: „Seht, ich schaffe Neues, schon sprießt es, erkennt ihr es nicht?“ (Jes 43,19). Dies lässt Gott über Jesaja ausrichten an politische Gefangene im Exil. Sie haben weit weg von ihrer Heimat ihr Vertrauen auf Gott verloren. Hoffnung gibt es kaum, die Aussichten sind düster, ein Ende ist nicht in Sicht. Das erinnert ein wenig an Zeiten der Pandemie. Auch wir stecken mitten in einer Leidenszeit, die mit vielen Einschränkungen und Ängsten verbunden ist und auch mit Hoffnungslosigkeit.
Ein Ende der Pandemie ist nicht in Sicht. Viele plagen Existenzsorgen, Spannungen im häuslichen Umfeld sind keine Seltenheit, der unkomplizierte Kontakt zu Mitmenschen fehlt. Wir brauchen dringend Hoffnung auf eine bessere Zukunft allen Widrigkeiten der Gegenwart zum Trotz. Dass die Natur langsam wieder aus dem Winterschlaf zum Leben erwacht, das macht auch etwas mit uns, das gibt auch uns neue Lebenskraft. Ich genieße es, wenn die Sonne mir den Rücken wärmt, wenn die Vögel beim Aufwachen zwitschern, die Tage wieder länger werden.
Immer wieder neu fasziniert mich das zarte Grün der frischen Triebe. Die Farbe Grün steht für alles Neue, für das, was noch wachsen will und kommen wird. Grün ist deswegen auch die Farbe der Hoffnung. Im Mittelalter wurde das Kreuz Jesu oftmals grün gemalt zum Zeichen dafür, dass Leid und Schmerz neues Leben hervorbringen können. Für Hildegard von Bingen (1098-1179) war Grün eine heilige Farbe. Die berühmte Äbtissin, Naturwissenschaftlerin, Komponistin, Mystikerin und Theologin spricht in ihren Schriften oft von der „Grünkraft“, die besonders im Frühling zu sehen und zu spüren ist. „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit und diese Kraft ist grün“. Sie verbirgt sich in allem, was die Schöpfung hervorbringt: in den Pflanzen, aber auch in einer positiven Lebenseinstellung. Es ist die Lebensenergie, die dem Menschen von Gott geschenkt ist. Aus Gott selbst quillt die grünende Lebenskraft. Grün ist die Farbe des Lebens. Sie beruhigt mich und stimmt mich zuversichtlich, dass Gott mir die Kraft gibt, immer wieder neu zu beginnen.
Gehen Sie im März mit staunenden Augen durch die Natur. Dann erahnen Sie vielleicht etwas von dem göttlichen Geheimnis in allem, was knospt, grünt und lebt. Und möglicherweise wächst dann auch das Vertrauen darauf, dass bald wieder eine neue Zeit anbricht: „Seht, ich schaffe Neues, schon sprießt es, erkennt ihr es nicht?“
Eine Andacht von Andrea Schrimm-Heins, Leiterin der Evangelischen Frauenarbeit der Luth. Kirche in Oldenburg.