Zum Hauptinhalt springen

Mächtig windig war es, als die fünf Männer am Heiligen Abend in den Turm der St.-Stephanus-Kirche in Schortens hinaufstiegen. Der Wind pfiff regelrecht um die Ecken des mittelalterlichen Bauwerks, dessen Turm aber erst im 19. Jahrhundert entstand, weil ein Vorgänger durch Blitzschlag zerstört wurde. Und auch wenn der Turm dieser alten Kirche, die auf einer Warft steht, mit rund 30 Metern nicht gerade hoch ist, so bietet er doch viel Gelegenheit, den Wind ordentlich spüren zu lassen, wenn man im Glockenturm steht. Und genau dahin wollten die fünf Männer. Oben im Turm pflegen sie eine alte Tradition: Das Beiern.

Nur zwei Mal im Jahr, einmal am Heiligen Abend und ein weiteres Mal am Silvesterabend erklingt der besondere Rhythmus des Beierns über Schortens. Dabei werden die Glocken im Kirchturm in einem ganz bestimmten Rhythmus per Hand angeschlagen. Und das ist echte Schwerstarbeit, denn es geht dabei darum, den Klöppel gegen die feststehende Glocke zu schlagen. „Rund 95 Kilo wiegt der Klöppel der Südglocke, deshalb arbeiten wir hier auch zu zweit“, erzählt Johannes Peters, der das Beiern von seinem Vater gelernt hat.

Mit Hilfe einer speziellen Vorrichtung, in die der Klöppel eingehängt wird, lässt er sich besser und vor allem mit beiden Händen greifen. Die Glocke wird in einem bestimmten Rhythmus angeschlagen, dafür und für die hohe Kraftanstrengung braucht Johannes Peters volle Konzentration. Wenn die Kraft erlahmt gibt der 65-Jährige an seinen Sohn Hilko weiter. Der 31-Jährige ist stolz darauf, bereits in sechster Generation zu beiern.

Der älteste in der Runde und zugleich derjenige, der als letzter dazu gekommen ist, ist Horst Janßen. Der 73-Jährige schlägt die Westglocke mit dem geringsten Gewicht an. Er interessiert sich sehr für Heimatgeschichte, setzt sich aktiv für den Erhalt der plattdeutschen Sprache ein und war so auch gleich begeistert, als er angesprochen wurde, diese Aufgabe zu übernehmen. „Es ist wichtig, Traditionen zu bewahren“, meint Janßen. Und das Beiern hat in Schortens eine jahrhundertealte Tradition.

Damals, vor hunderten von Jahren wurden die Glocken angeschlagen, um böse Geister zu vertreiben. Neben dem Christentum hatten sich nämlich hartnäckig auch einige Bräuche aus heidnischen Zeiten erhalten. Heute ist es mehr die Erinnerung an die lange Geschichte, in deren Tradition die Gemeinde steht. Das Wort Beiern kommt übrigens aus dem Mittelniederländischen und bedeutet so viel wie Glockenspiel.

Neben Johannes und Hilko Peter und Horst Janßen standen am 24. Dezember auch Hermann Reck und Manfred Onken im Kirchturm. Die beiden bedienen die Nordglocke, deren Klöppel rund 85 Kilo wiegt.

Alle fünf können sich einen Heiligen Abend oder ein Silvesterfest ohne das Beiern gar nicht vorstellen. „Es ist zwar oft nicht gemütlich im Turm, der Wind pfeift und häufig haben wir es auch schon bitterkalt gehabt. Aber wenn die ersten Töne erklingen, dann merkt man das alles gar nicht mehr. Es zieht eine ganz besondere Stimmung ein, geradezu feierlich“, erzählte Johannes Peters.

Nur am nächsten Tag, da ist es manchmal nicht „feierlich“: „Von jedem Abend, an dem wir beiern habe ich mindestens drei Tage eine ganz direkte Erinnerung: ordentlichen Muskelkater“, sagt Manfred Onken und schmunzelt.

Ein Beitrag von Annette Kellin.


1: Manfred Onken (von links), Hermann Reck, Johannes Peters, Horst Janßen und Hilko Peters (fehlt) haben sich einer Tradition verschrieben: dem Beiern. Alle Fotos: ELKiO/Annette Kellin
2: Hilko Peters an der Südglocke.
3: Gefordert sind Konzentration und Kraft. Und natürlich ist der Gehörschutz unerlässlich.
4: Horst Janßen schlägt die Westglocke an, aufgrund des geringeren Gewichts lässt sich der Klöppel direkt bewegen.
5: Für die schweren Klöppel haben die Männer eine eigene Vorrichtung gebaut.
6: Die St.-Stephanus-Kirche wurde am 12. Jahrhundert auf einer künstlichen Warft errichtet.
7: Hermann Reck und Manfred Onken nehmen auch Muskelkater in Kauf.