Kann man den Tod ins Lächerliche ziehen? – Ganz sicher nicht! Aber sind der Tod und Humor miteinander vereinbar? Wer die Lesung von Susann Pásztor in der Oldenburger Nikolaikirche mit verfolgte, der kann dies getrost mit einem „Ja“ beantworten, und braucht dafür noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn in ihrem Buch „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ geht es um den Tod und darum, wie eine Todgeweihte ihren letzten Gang mit Hilfe eines Sterbebegleiters und seines Sohnes meistert – und da kamen die mehr als 100 Zuhörenden mehr als einmal ins Schmunzeln.
Und ganz offensichtlich waren unter den Zuhörenden in der Nikolaikirche viele Hospizmitarbeitende, denn der Humor der Geschichte wurde mit viel Lachen honoriert. Zur Geschichte: Die aus Spanien stammende Karla Jenner-García leidet an Bauchspeicheldrüsen-Krebs – sie hat nur noch wenige Monate zu leben. Unterstützung soll sie von Fred Wiener erhalten, beruflich zwar abgesichert, aber eher ein Versager. Dieser möchte als Sterbebegleiter etwas Sinnvolles für die Gesellschaft leisten, hat seinen ersten Einsatz aber ausgerechnet bei der gleichsam resoluten und etwas granteligen, aber vor allem stolzen Karla, die ihm unmissverständlich zu verstehen gibt, dass sie ihn als Begleiter für unfähig hält.
Anders verhält es sich mit Freds Sohn, dem 13-jährigen Phil, ein zu klein geratener Sonderling, der lieber Lyrik schreibt, als mit dem Handy spielt, und der sich bereit erklärt, Karla bei der Ordnung ihrer Dias zu helfen, die die passionierte Fotografin über die Jahre angesammelt hat. Nach einigen Wirrungen erhält auch Fred eine zweite Chance als Trauerbegleiter. Natürlich endet es, wie es enden muss – mit Carlas Tod. Aber trotz des nicht einfachen Themas gelingt es Susann Pásztor in ihren Textpassagen immer wieder, mit viel Augenzwinkern auf die Dreierbeziehung zu schauen, etwa, wenn sie aus den Listen, die Karla so liebt, die Todesarten vorliest, an denen diese nicht sterben möchte („Ertrinken in unpassenden Substanzen“) oder wenn sie mit Unverständnis reagiert, wenn sie jetzt 400 Euro pro Monat für ein Cannabis-Schmerzpräparat zahlen soll, obwohl sie 30 Jahre lang Joints geraucht hat.
Auch der Besuch beim Bestatter zur Ermittlung einer geeigneten Bestattungsform („Ich möchte keine Spuren hinterlassen“) wird sowohl für Fred als auch dem Bestatter selbst zur heiklen Mission („Ein echter Bestatter fand diese Beschreibung tadellos“, so die Autorin). Und auch der Rap, den Phil später zu Ehren Karlas („Meine Oma“) im Rahmen eines Schulprojektes dichtet, zeigt die Verbundenheit, die sich zwischen den Protagonisten mittlerweile aufgebaut hat. Doch es endet natürlich, wie vermutet. Eine „Wunderheilung“ findet nicht statt: Zum Schluss steht einer auf und öffnet das Fenster ...
„Mir ist da ein echter Coup gelungen.“ – Ein bisschen stolz war Pfarrer Andreas Thibaut schon auf seinen Gast – immerhin hatte sich Susann Pásztor am Vortag der Verleihung des mit 5.000 Euro dotierten Evangelischen Buchpreises in Karlsruhe zu dieser Lesung bereit erklärt – der Preis geht in diesem Jahr an ihr Buch. Stolz auch, weil sie nicht die erste Preisträgerin in seiner Kirche ist. Zuvor hatten bereits Jenny Erpenbeck (2013) und Nina Jäckle (2015) ihre Werke dort vorgestellt. Er nahm die Lesung aber auch zum Anlass zur Kritik: „Wir sind sehr in Sorge über das Fortbestehen unserer Büchereiarbeit“, erläutert Thibaut. Grund seien angestrebte Sparmaßnahmen in der oldenburgischen Kirche, unter die auch die Fachstelle für Büchereiarbeit fallen soll. Der Fortbestand der 40 evangelischen Büchereien ist aus seiner Sicht dadurch bedroht.
Doch zurück zur Autorin. Wie kommt man überhaupt dazu, über das Thema Tod und Sterben in dieser Form zu schreiben? Die Motivation kam aus ihrer eigenen Erfahrung: „Ich bin selbst Sterbebegleiterin und habe das auch schon eine ganze Weile gemacht, als mir die Idee kam, eine Geschichte zu erzählen, die in diesem Milieu passiert.“ Die wichtige Vater-Sohn-Beziehung, die geschickt in den Roman eingeflochten wurde, sei ihr quasi beim Schreiben passiert: „Wie das so ist, man hat so seine Protagonisten, und diese nehmen im Verlauf der Geschichte plötzlich mehr Raum ein, als man vorher geplant hat. Das war beispielsweise bei Phil und Fred so, als Phil, der 13-jährige Sohn, plötzlich eine viel wichtigere Rolle bekam. Ich brauchte so einen kleinen Sonderling, keinen ‚normalen‘ Jugendlichen. Ich bin selber erstaunt, hab sie machen lassen und bin jetzt sehr froh darüber.“
Den Buchpreis empfindet Autorin Susann Pásztor als Anerkennung, „aber eigentlich bekommt das Buch den Preis, denn es ist eine Geschichte, die sich entwickelt hat und die andere Menschen, so die Rückmeldungen, inspiriert, aufmuntert und sogar Trost spendet. Aber es geht auch darum, den ehrenamtlichen Hospizmitarbeitern, die im Hintergrund agieren, Namen zu geben. Ohne die Ehrenamtlichen würde das ganze Konzept Hospiz nicht funktionieren. Das hat mich sehr froh gemacht, und diese bekommen diesen Preis so ein bisschen mit.“
Und die Resonanz seitens der Hospiz-Szene sei durchweg positiv gewesen: „Ich habe es so beschrieben, wie ich es erlebe. Viele Situationen wurden in den Lesungen wiedererkannt. Und je mehr Mitarbeitende aus Hospizen anwesend waren, umso schneller wurde gelacht, während andere Zuhörer oft da sitzen und sichtlich überlegen: Darf ich jetzt lachen?“ Dies sei ihr ein weiteres Anliegen: Hospize, das seien keine Orte der Düsternis. Da werde auch viel gelacht. „Und wenn mich diese Arbeit etwas gelehrt hat, dann ist es, einfach mal die Klappe zu halten und im richtigen Augenblick still zu sein“, so Susann Pásztor.
Ein Beitrag von Sven Hunger-Weiland.