Die Arbeitsstelle für Religionspädagogik (arp) ist eine Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, kirchliche Bildung in der Gesellschaft zu verankern. Sie schult, berät und unterstützt u.a. Lehrende zwischen Weserufer und Ostfriesland, von Wangerooge bis zu den Dammer Bergen. Als Leiterin der Arbeitsstelle für Religionspädagogik erhält Pfarrerin Kerstin Hochartz in einem weiten Umfeld tiefe Einblicke in die Praxis. Im Interview: mit Laelia Kaderas macht sie deutlich, dass Religionsunterricht anders ist, als sich die, die ihrer eigenen Schulzeit entwachsen sind, ihn sich vorstellen. Anders als er einmal war. Anders als der Name suggeriert. Anders als in der Zeit vor Corona.
Frau Pfarrerin Hochartz, wie ist er denn nun, der moderne Religionsunterricht?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Der Unterricht hat eine hohe Qualität. Man könnte fast von einem „Theologiestudium für Anfänger“ sprechen, vor allem in der Oberstufe. Es ist ein geisteswissenschaftlicher Unterricht – Philosophiekursen gleichrangig. Die Klausuren sind großes Kino. So haben wir beispielsweise am Beruflichen Gymnasium Immanuel Kant gelesen, in der 11. Klasse! Für viele Schüler*innen ist es ein Schlüsselerlebnis zu entdecken, dass kein Text „zu schwierig“ ist. Und dass die großen Fragen des Lebens ganz persönlich relevant sind. Einige haben später aufgrund genau dieser Erfahrung, die sie im Schulunterricht machen konnten, Religion auf Lehramt studiert.
Wie lässt sich „Religion“ über Schulnoten bewerten?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Es geht darum, Kompetenzen zu entwickeln. Darum, sich auf Prozesse einzulassen und für sich – oft aus einer kritischen Haltung heraus – einen Standpunkt zu erarbeiten. Schülerinnen und Schüler, die bereit sind, sich einzudenken, erhalten – mit Recht – die besten Zensuren.
Wer nimmt am Religionsunterricht überhaupt teil?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: 75 Prozent aller Schülerinnen und Schüler nehmen teil – davon viele, die keiner Konfession oder einer anderen Glaubensgemeinschaft angehören, z.B. bekennende Jesiden oder Muslime. Von dieser Gruppe entscheiden sich sogar mehr für den Religionsunterricht als für das Fach „Werte und Normen“ bzw. „Ethik“. Das heißt: Im Unterricht sitzen zunehmend Kinder und Jugendliche, die nicht religiös geprägt sind oder nicht dem christlichen Glauben angehören. Die Lehrenden können also nicht voraussetzen, dass christliche Bilder, Gleichnisse, Symbole und die Sprache bekannt sind.
Welchen Themen werden berührt?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Gerade Corona macht deutlich, was uns fundamental angeht. Da sind Ängste, die jeder kennt. Dann beginnt die innere Auseinandersetzung mit Tod, mit dem Wert von Leben, mit Prioritäten, etwa: Wer soll wann geschützt werden? Ethische Fragen spielen eine zentrale Rolle. Und auch der Blick auf verschiedenen Religionen. Etwa: Welches Gottesverständnis zeigt sich? Corona als „Strafe Gottes“? Die Themen im Religionsunterricht sind existenziell und aktuell: Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Antirassismus, Verbot und Freiheit, Langeweile, Spiritualität …
Für wie wichtig halten Schulen Religionsunterricht in Corona-Zeiten?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Diese Zeit ist sehr herausfordernd für Schulleitungen und Lehrkräfte. Sie müssen sich innerhalb kürzester Zeit selbst ganz neue Fertigkeiten fürs Home-Schooling aneignen und möchten gleichzeitig Schüler*innen mitnehmen, die im Elternhaus nicht die notwendige Unterstützung erfahren können. Da stehen dann oft nur die Kernfächer wie Mathematik und Deutsch im Vordergrund. Gleichzeitig aber erlebt der Religionsunterricht eine neue Renaissance unter Corona. Die Schulen reagieren da sehr unterschiedlich.
Unterstützt die Arbeitsstelle für Religionspädagogik Lehrkräfte in dieser Situation auf besondere Weise?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: In unseren Fortbildungen gehen wir speziell darauf ein – mit neuen Methoden, Materialien und digitalen Medien aller Art. Dann gibt es noch unsere Medienstelle mit einem ohnehin großen Bestand an Büchern, Heften, Zeitschriften und DVDs. Mittlerweile können Filme über das Medienportal direkt gestreamt werden, und wir sorgen für die rechtliche Absicherung.
Eine große Stärke der Medienstelle ist die hochqualifizierte Beratung durch unsere Mitarbeiter*innen. Sie haben von Religionspädagogik viel Ahnung und können selbst in verzwicktesten Konstellationen helfen. Gerade das ist in so unsicheren Zeiten unwahrscheinlich wertvoll. Ganz besonders eingeschlagen haben unser neues „digitales Regal“ und die Zoom-Austauschrunde „Mitteilsam statt einsam“. Für beides haben wir überraschend viele Dankes-Rückmeldungen von Lehrkräften erhalten.
„Digitales Regal“? Um was geht da genau?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Auf unserer Website www.arp-ol.de befindet sich ein Link, der zu „digitalen und anlogen Unterrichtsideen während, nach und zur Coronakrise“ führt. Die Tipps, Materialien, Webtools, Podcasts und Apps sind ausgelegt für alle möglichen Themen und Schulformen. Dieses „digitale Regal“, das sogenannte Padlet, wird ständig erweitert und angepasst. Manchmal stellen uns Lehrkräfte Info und Materialien zur Verfügung von eigenen Unterrichtseinheiten, die besonders gut gelaufen sind.
Und „Mitteilsam gegen einsam“ ist als Ergänzung gedacht?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Genau. Zu den Angeboten gibt es alle zwei Wochen montags zwei Stunden lang die Möglichkeit, sich per Zoom zu vernetzen und auszutauschen. Diese Runde ist begrenzt auf neun Personen; deshalb ist es notwendig, sich anzumelden. Gina Pape, unsere Medienpädagogin, stellt jedes Mal eine App oder ein Tool vor, das man für den digitalen Unterricht nutzen kann. Dann gibt es gleich auch eine kleine Trainingseinheit zum Ausprobieren. Schließlich mache ich noch auf interessante Methoden, Themen und Aufbereitungsideen aufmerksam, auf die ich gestoßen bin.
Sind diese Formate eine Reaktion auf Corona?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Ohne Corona hätten wir uns viel mehr Vorlauf genommen. Jetzt stellen wir fest, dass sie unproblematisch sind – und sehr effektiv. Sie werden gut angenommen, und alles lässt sich mit relativ wenig Aufwand vorbereiten. Das bestärkt uns darin, auch in der Lehrer*innen-Fortbildung solche Formate einzuführen. Wir werden künftig mehr Webinare anbieten – für Menschen z.B. mit weiter Anreise oder für Elternteile mit Kindern zu Hause.
Wie ist die Medienstelle geöffnet?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Eine Weile mussten wir schließen. Jetzt haben wir die Öffnungszeiten so ausgeweitet, dass sich die Besucher*innen gut verteilen können.
Unsere Medienstelle nutzen nicht nur Lehrkräfte, Studierende und Referendar*innen, sondern auch Pfarrer*innen und Diakon*innen für den Konfirmandenunterricht und in der Kinder- und Jugendarbeit. Unser Service steht natürlich auch Menschen außerhalb des kirchlichen Bereichs offen.
Welche Art von Materialien verleiht die Medienstelle im arp?
Pfarrerin Kerstin Hochartz: Für den Präsenzunterricht gibt es tolle Sachen wie unsere beweglichen Egli-Figuren, mit deren Hilfe sich wunderbar Geschichten erzählen lassen. Spaß machen auch die Erzählbeutel – Stofftaschen mit Motiven, die sich immer wieder umklappen lassen und neue Bilder hervorbringen. Wir haben Fotokarteien, Bilderbuchkinos, Legematerial, Spiele und Kamishibais; das sind japanische Bilderschaukästen aus Papier. Und es gibt Materialkisten und -taschen zu vielen Schwerpunkten. Die sind immer im Umlauf; zeitweise sind sie sogar alle verliehen.
Interview: Laelia Kaderas
Website der Arbeitsstelle für Religionspädagogik:www.arp-ol.de
„Digitales Regal“:https://padlet.com/gina_pape/98b31rel4be37oxk
Öffnungszeiten und Medienangebot unter:www.arp-ol.de/medienangebot/