Sie befördert Massengüter wie Holz, Futtermittel, Zellulose, Schrott und Kohle und ist auf großen Flüssen und Kanälen unterwegs: Die Binnenschifffahrt ist allgegenwärtig und trotzdem vielfach Terra incognita. Das will ein Theaterstück ändern.
Brake/Geestenseth (epd). Reibhölzer spielen eine Rolle. Partikuliere sowieso, außerdem die Gangbord und Fahrten zu Berg und zu Tal. Begriffe wie diese gehören zu einer Branche, von der viele Menschen wenig oder gar nichts wissen. Es geht um die Binnenschifffahrt, in die die norddeutsche Theatergruppe «Das Letzte Kleinod» mit einer neuen Produktion tief eintaucht. Das Projekt ist wie eine Reise in eine fremde Welt. Im Mai soll Premiere gefeiert werden - an einem authentischen Ort.
Schon jetzt hat Regisseur und Autor Jens-Erwin Siemssen mit Unterstützung der Hafengesellschaft Niedersachsen Ports (NPorts) sein Schreibatelier für das etwa 90-minütige Dokumentarstück nach Brake verlegt - mit Blick auf den Binnenhafen der Unterweserstadt, die jährlich von rund 1.000 Fluss-Frachtern angesteuert wird. «Schiffer und Schifferinnen berichten für das Projekt über die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf den europäischen Wasserstraßen», sagt Siemssen und gibt erste Hinweise auf die Inhalte: «Es geht um die Infrastruktur in Häfen und Schleusen, das Warten auf Fracht, Existenzsorgen und den Familienalltag auf dem Schiff.»
Was aber ist jetzt ein «Reibholz», nach dem das Stück auch benannt ist? «Das sind hölzerne Fender, Stoßfänger, zum Schutz von Schiffen an Kajenmauern», erläutert Siemssen. Partikuliere sind selbstständige Binnenschiffer, die Gangbord der Bereich, auf dem man außerhalb des Laderaumes seitlich auf dem Deck eines Schiffes entlang gehen kann. Zu Berg fährt ein Schiff, wenn es auf dem Fluss gegen die Strömung Richtung Quelle unterwegs ist, zu Tal geht es mit der Strömung. «Wir nähern uns einer Branche, die selten im Fokus der Öffentlichkeit steht», verdeutlicht der Regisseur.
Die Vorpremiere ist für den 14. Mai am Sitz der Theatergruppe in Geestenseth bei Bremerhaven geplant. Die eigentliche Hafenpremiere folgt dann am 21. Mai in Brake. Weitere Aufführungen sind bereits in Braunschweig, Magdeburg und Dessau gebucht. Extra Vorstellungen soll es in Brake und Dessau für Schülerinnen und Schüler geben, möglicherweise auch an weiteren Orten.
Das Stück wird größtenteils in angemieteten Eisenbahnwaggons gespielt, mit denen das «Kleinod» von Hafen zu Hafen reist. Im Zentrum stehen fünf Szenen, in denen typische Frachtgüter wie Holz, Futtermittel, Zellulose, Schrott und Kohle als Requisiten eine Rolle spielen. So wird das Interieur eines Wohnraumes auf einem Binnenschiff gestaltet, in einem kleineren Abteil die Kammer eines Matrosen. Der Steuerstand eines Binnenschiffes ist auf einem Flachwaggon installiert. Mit Reibhölzern wird das Anlegen in einer Schleuse gespielt. Außerdem wird in einem 40-Fuß-Container, der mit auf Tour geht, über Havarien und Personenschäden in der Binnenschifffahrt informiert.
Das echte Leben auf den Schiffen ist Siemssen dabei besonders wichtig. Deshalb hat er für das Theaterstück Interviews mit Schiffern unter anderem aus Polen und den Niederlanden geführt. Er schaute beim Laden zu, fuhr auf Schiffen mit. Dabei hilft ihm ein Ausweis, den ihm die Hafengesellschaft ausgestellt hat und der ihm Bereiche öffnet, die normalerweise verschlossen sind.
So gewinnt er täglich neue Einblicke in eine Welt, die große Probleme hat, obwohl zu Deutschland mit Duisburg als größtem Binnenhafen Europas die Drehscheibe der Branche gehört. Die Binnenschiffer kämpfen mit einer maroden Infrastruktur, einem sinkenden Transportaufkommen, Nachwuchsmangel, wachsenden Auflagen und steigenden Betriebskosten. «Trotzdem», betont Jens-Erwin Siemssen, «sind besonders die Partikuliere mit großem Herzblut dabei, oft über Generationen.»