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Weit mehr als hundert Menschen kamen am vergangenen Donnerstag, 13. Februar, in das Evangelische Haus in Westerstede, um zu der Frage „Wie politisch darf die Kirche sein?“, ausgewiesene Fachleute zu hören. Der „Mann der Kirche“, Bischof Jan Janssen, und der „Mann der Politik“, Thomas Kossendey, bis vor kurzem Bundestagsabgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär, diskutierten unter der Leitung von Kreispfarrer Lars Dede.

 

Die Themen ergaben sich in dem Gespräch wie von selbst: Krieg und Frieden, Flüchtlinge und Fluchtursachen, der gesellschaftliche Umgang mit Kindern und Benachteiligten. Sehr unterschiedlich waren und blieben aber die Meinungen, ob und in welcher Weise Kirche politisch agieren kann und darf.

 

Der Oldenburger Pfarrer Dr. Ralph Hennings machte in seinem einleitenden kirchenhistorischen Vortrag deutlich, dass Kirche und Politik nie zu trennen waren. So entstand nach der Gründung des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation ein Dauerkonflikt zwischen Päpsten und Kaisern, wer der eigentliche Herrscher sei. Martin Luther beschrieb das Verhältnis zwischen Politik und Kirche neu. In diesem Zusammenhang verwies Hennings auf Luthers Tischreden und dessen Satz „Ein Prediger darf nicht Politik treiben.“

 

Dieser wirkte – so Hennings – „wie eine unglückliche Vorlage zu der Aussage eines Pastors der Bekennenden Kirche zur Pogromnacht des 9. November 1938: ‚Liebe Gemeinde, wir wissen ganz genau: es ist hier in der Kirche nicht der Ort, dass wir zu diesen Ereignissen im politischen Raum auf politische Weise Stellung nehmen‘“. Demgegenüber hätten – bei aller Unvergleichbarkeit der staatlichen Systeme – die kirchlichen Friedensgebete in der DDR und der Aufruf ‚Keine Gewalt!‘ ihre segensreiche politische Wirkung bei den gesellschaftspolitischen Veränderungen nicht verfehlt.“


Bischof Jan Janssen verwies auf seine Eckpunkte: Wenn er an das kirchliche Verhältnis zur Politik denke: Fürchtet euch nicht! = sei mutig. Wenn es um christliche Werte gehe: Selig sind die Friedfertigen! = Gottes Sympathie ist mit den Benachteiligten; Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist! = überlege gut und handele klug im Umgang mit staatlichen Stellen. Kirche sei, so Janssen, politisch in dem Umfang, wie die Menschen in ihr politisch seien.


Thomas Kossendey konnte dort anknüpfen. Kirche müsse das „Gewissen des Staates“ sein. Sie mache auf Werte aufmerksam und müsse auf Entwicklungen hinweisen, die dem Evangelium entgegenlaufen. Aber sie müsse auch überlegen, wie und wo sie es täte. Wenn eine Bischöfin sich von der Kanzel herunter in staatliche Vorgänge wie dem Militäreinsatz in Afghanistan einmische, dann ginge das zu weit.


Dem widersprach nicht nur Bischof Janssen mit dem Verweis, dass der von der Presse aufgegriffene Satz Teil einer Gesamtpredigt gewesen sei, den die Gottesdienstbesucher sofort hätten einordnen können. Auch Holger Rauer, Gemeindepastor in Oldenburg-Osternburg und Moderator eines Runden Tisches, widersprach vehement. „Wir gestalten als Kirche den Lebensraum der Menschen mit und wir müssen uns auch von der Kanzel herunter dort einmischen, wo Menschenwürde verletzt wird.“


Die Migrationsbeauftragte der Stadt Oldenburg, Dr. Ayça Polat, betonte die guten Erfahrungen, die sie von der staatlichen Seite mit Kirche mache. An vielen Stellen, an denen anderswo Türen verschlossen seien, würde Kirche die Türen öffnen und Raum bieten, um Begegnung und die Aufarbeitung von Problemen zu ermöglichen. An solchen Stellen würde konkret signalisiert, dass Menschen respektvoll zu behandeln seien. Ihre Bitte an die Vertreter der Kirche: Thematisieren Sie die latente Fremdenfeindlichkeit noch stärker als bisher.


Spontanen Applaus erhielt die Ärztin Dr. Anita Garbin für zwei Diskussionsbeiträge. Politik und Kirchen sollten den Umgang mit Kindern stärker in den Blick nehmen. Die Betreuungsschlüssel in den Kinderkrippen seien so schlecht, dass Spätfolgen nicht auszuschließen seien. Was heute versäumt werde, falle der Gesellschaft später als neue soziale Probleme vor die Füße.

 

Weiter verwies sie an anderer Stelle auf die vielfältigen Fluchtursachen der Menschen, über deren Schicksal in Lampedusa immer wieder diskutiert werde. Sie habe während ihrer Arbeit mit der Christoffel-Blindenmission in Nigeria die Hinterlassenschaften der Kolonialmächte des 19. Jahrhunderts und der internationalen Konzerne heute täglich mit eigenen Augen gesehen. Statt den Menschen Lebensbedingungen zu schaffen, die ihnen Arbeit und Auskommen böten, seien unbewohnbare Landstriche entstanden, um unseren Standard mit billigen Lebensmittel und modernen Technologien zu ermöglichen.


Das Publikum erlebte mutige „Männer und Frauen der Kirche“, die gewillt waren und sind, sich dort einzumischen, wo christliche Werte aus dem Blick geraten und die Menschenwürde in Gefahr gerät. Und es erlebte einen „Mann der Politik“, der das Wächteramt der Kirche deutlich begrüßte, sich aber ebenso deutlich wünschte, dass die Kirche die Entscheidungen der politischen Akteure, die mit ihren Wirken in oft schwierigen Fragen Verantwortung übernähmen, respektiere. 


Ob und wie dieser Wunsch des Politikers in Erfüllung gehen kann, wird schon die nächste Veranstaltung weiter nachgehen. Auch diese Veranstaltung findet in der Reihe „Reformation und Politik“, die der Ev.-luth. Kirchenkreis Ammerland und das Evangelische Bildungswerk Ammerland in Kooperation mit dem Freiheitsraum Reformation durchführt, statt. Am 3. März, ebenfalls im Evangelischen Haus in Westerstede, geht es dann um 20.00 Uhr um das Thema: „Friede auf Erden – Wo liegt das Problem?“ Referent ist Theodor Ziegler aus der Evangelischen Kirche in Baden. Dort wird eine neue evangelische Friedensethik ohne militärische Einsatzoptionen diskutiert.


Ein Beitrag von Peter Tobiassen, Leiter des Ev. Bildungswerks Ammerland.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.eeb-niedersachsen.de/Files/Ammerland/Flyer%20Reformation%20und%20Politik.pdf (PDF)

Podiumsdiskussion zum Thema „Wie politisch darf die Kirche sein?“ (von li. nach re.): Pfarrer Dr. Ralph Hennings, die Ärztin Dr. Anita Garbin, Thomas Kossendey, bis vor kurzem Bundestagsabgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär, Kreispfarrer Lars Dede, Bischof Jan Janssen, Dr. Ayça Polat, Migrationsbeauftragte der Stadt Oldenburg, und Pfarrer Holger Rauer. Fotos: Peter Tobiassen.
(von li. nach re.): Kreispfarrer Lars Dede, Thomas Kossendey und Bischof Jan Janssen.
Pfarrer Dr. Ralph Hennings
Bischof Jan Janssen
Thomas Kossendey