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Was darf, was muss Pressefotografie zeigen? Gibt es eine moralische Grenze und wenn ja, wo liegt sie? Darüber sprachen Ende Februar im Oldenburger Kulturzentrum PFL drei Medienvertreter und ein Theologe.


Moderiert von Rainer Lisowski (Hochschule Osnabrück) diskutierten der ehemalige Chefredakteur des Magazins Geo, Peter-Matthias Gaede, dpa-Cheffotograf Michael Kappeler, der Chefredakteur der Nordwest-Zeitung, Rolf Seelheim, und Pastor Ralph Hennings von der Oldenburger Lamberti-Kirche.


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? „Ich halte diesen Satz für Unsinn“, sagte Peter-Matthias Gaede. Erst im Zusammenspiel mit einem Begleittext werden die meisten Fotos seiner Meinung nach dechiffriert. Bilder könnten oft besser Emotionen wecken als Texte, hielt Ralph Hennings dagegen. Allerdings zeige jedes Foto immer nur einen Ausschnitt der Gesamtsituation.


Wie groß oder klein, wie polarisierend oder erklärend ein Foto sein kann, zeigte sich am Beispiel des kleinen Jungen, dessen Leichnam vor einigen Wochen am Strand gefunden wurde und dessen Foto durch die Welt ging. Während einige Medien lediglich den Körper des Kleinen am Strand – losgelöst von Hilfe und Zivilisation – zeigten, offenbart das Gesamtbild, dass es sich hier keineswegs um eine einsame Stelle handelt. „Wir Fotografen können uns persönlich nie ganz frei machen von der Einschätzung einer Situation“, so Michael Kappeler, „aber wir müssen uns immer bewusst sein, dass es unser Auftrag ist, ein Geschehen abzubilden, nicht zu interpretieren, und einen Eindruck nicht verfälschen.“


Wie schmal der Grat zwischen moralischem Empfinden und Aufklären sein kann, wie sehr es auf den Gesamtzusammenhang – und die persönliche Entscheidung ankommt, machte die Diskussion um den Pressekodex deutlich, keine Leichen zu zeigen. „Die NWZ hält sich daran“, betonte Rolf Seelheim. „Aber was ist mit dem Bild des toten Barschel in der Badewanne? Was mit den Leichenbergen aus Konzentrationslagern? Ist es nicht die Pflicht der Presse, solche Bilder zu zeigen?“, kamen Fragen aus dem Publikum. „Nicht in jedem Fall ist es würdelos, einen Toten zu fotografieren. Wenn ein Foto gut gemacht ist, kann man im Gegenteil einem Opfer mit dem Foto auch seine Würde zurückgeben, weil erkennbar ist, mit welcher Haltung der Fotograf dieses Bild gemacht hat“, beschrieb der dpa-Fotograf.


Die NWZ habe das Bild von Barschel nicht gedruckt, so Seelheim. „Aus heutiger Sicht allerdings würde ich sagen: Das hätten wir bringen sollen.“ Überhaupt stelle sich vor der Wucht aktueller Ereignisse eine Entscheidung oftmals anders dar als Jahre später. „Ein Foto heute zu bringen, heißt nicht, dass es auch in fünf Jahren noch seine Berechtigung hätte“, machte Michael Kappeler deutlich.


Nebenbei gab der Fotograf einen Eindruck von seinem und dem Alltag seiner Kollegen in Krisengebieten und den Gefahren, denen auch sie ausgesetzt seien. Dabei müsse man sich immer davor schützen, instrumentalisiert zu werden. Und es gebe auch „Adrenalin-Junkies“, ergänzte Peter-Matthias Gaede. Die meisten Fotografen aber seien hoch engagiert und hätten ein Ziel: Missstände in beeindruckenden Bildern an die Öffentlichkeit zu bringen. „Diese Aussagekraft ist der Antrieb für die Fotografen, auch an gefährliche Orte zu gehen.“ Es gehe nicht, platt zu sagen, schreckliche Dinge dürfe man nicht zeigen, meinte auch Pfarrer Ralph Hennings. „Die Tagespresse hat den Auftrag, Geschehen zu dokumentieren“, machte er deutlich.


„Aber können Bilder überhaupt etwas bewirken – und wenn nicht, wofür brauchen wir sie dann?“, wollte Moderator Lisowski wissen. Natürlich könnten Bilder keine Kriege verhindern, so Gaede. Aber sie könnten aufrütteln, ergänzte Rolf Seelheim und erinnerte an das Foto des kleinen Mädchens in Vietnam, das schreiend durch die Straßen läuft, nachdem es sich nach einem Napalm-Angriff die brennenden Kleider vom Leib gerissen hat. „Dieses Bild hat damals aufgerüttelt und eine ganz neue Diskussion angestoßen.“


Er würde kein Bild bringen, das Ekel und Schock beim Betrachter auslöse, sodass er sich abwende. „Dann bewirkt das Foto nichts mehr“, machte Seelheim deutlich. Insgesamt aber sei es wichtig, dass es die Pressefotografie aus Krisengebieten gebe. „Wir sehen jeden Tag Promi-Fotos, Bilder vom Roten Teppich, Werbefotos mit geglätteter Haut – da bin ich froh, dass es Fotografen gibt, die in die Gefahrenzonen gehen und uns echte, unverfälschte Bilder ermöglichen.“


Die Diskussionsveranstaltung gehörte zum Rahmenprogramm der Ausstellung „World Press Foto 15“, die noch bis zum 13. März im Oldenburger Schloss zu sehen ist. Mehr unter www.landesmuseum-ol.de 


Ein Beitrag von Anke Brockmeyer.

 

Was dürfen Pressebilder zeigen? Darüber diskutierten Rolf Seelheim, Michael Kappeler, Rainer Lisowski, Ralph Hennings und Peter-Matthias Gaede (von links). Foto: ELKiO/Anke Brockmeyer