Paul ist schon ein eigenartiger Geselle. Steht da in der Kirche, den ansehnlichen Bauch ordentlich vorgestreckt und guckt an die Decke. Was es da zu sehen gibt? Keine Ahnung, nichts Besonderes auf jeden Fall. Doch die Blickrichtung hat Sogwirkung. So gut wie jeder, der in die Nikolai-Kirche in Schillig (Kirchenkreis Friesland Wilhelmshaven) kommt, macht es genau wie Paul. Pastorin Sabine Kullik registriert das amüsiert.
Paul ist seit kurzem Dauergast in der evangelisch-lutherischen Nikolaikirche. Tag und Nacht verbringt er hier, seine Klamotten wechselt er nie. Muss er aber auch nicht, denn bei Paul handelt es sich nicht um ein lebendiges Wesen, Paul ist aus Kunststoff. Jördis Lehmann und Anna Leuthardt, die zu einer Dresdener Künstlergruppe gehören, haben die Figur vor einigen Jahren in einem Zyklus mit rund einem Dutzend weiterer Figuren geschaffen. Ursprünglich für das Theater entworfen, wurden die Figuren von der hannoverschen Landeskirche aufgekauft und als Wanderausstellung auf die Reise geschickt. Gut drei Jahre waren sie in vielen Kirchengemeinden schon mal zu sehen, saßen plötzlich als Nachbar in der Kirchenbank, zeigten einen Tanz im Altarraum und vieles mehr.
So war auch Paul früher schon einmal in Schillig, damals als Teil der Gruppe von Figuren, allesamt überaus lebensecht wirkend. Damals hieß er noch ein wenig anonym Der Tourist. Doch genau der hatte es Sabine Kullik gleich angetan. Und auch der katholische Pfarrer aus der Nachbarschaft, Lars Bratke, war von der Figur sofort begeistert. Er ging zu der Zeit in der evangelischen Kirche ein und aus, denn die katholische Gemeinde hatte gerade keinen eigenen Kirchenraum, weil in Schillig ein Neubau entstand. Und so war die katholische Gemeinde ständig zu Gast in der Nikolaikirche. Die ohnehin schon enge ökumenische Arbeit wurde noch intensiver. Zudem entwickelte sich eine regelrechte Liebesbeziehung der Pastorin, des Pfarrers und etlicher Gemeindemitglieder zu dem Touristen, der da schon längst liebevoll Paul genannt wurde.
Als die Wanderausstellung zu Ende ging und die Figuren einzeln versteigert wurden, machten sich die beiden Pastoren auf den Weg, um mitzunehmen, was zu bekommen und zu bezahlen war. Paul war die erste Wahl, aber dann gab es noch eine Jugendliche, die mit Handy in einer Kirchenbank lümmelte, die hätten wir auch gerne gewollt, erzählt Kullik. Doch der Verstand siegte, bei der Versteigerung sei der Preis für die zweite Skulptur leider zu hoch getrieben worden.
Seitdem hat es schon viele spannende Erlebnisse mit Paul gegeben, der bis vor kurzem in der katholischen neu erbauten Marienkirche stand. Die Figur passt einfach haargenau in unser touristisch geprägtes Schillig, sagt Kullik. Kann der nicht mal die Mütze absetzen, habe sich nicht nur ein Urlauber aufgeregt, erzählt Bratke. Und auch die kurzen Hosen in der Kirche kamen nicht gut an, berichtet er weiter. Paul wirkt eben lebensecht, und wo er steht, zieht er die Blicke auf sich und regt er zum Aufregen und Diskutieren an.
Klar, die Figur arbeitet mit Klischees, aber das ist es auch, worauf wir sofort reagieren, so Bratke. Den Sommer über soll Paul noch hier und da mal den Ort wechseln, bei gutem Wetter auch mal draußen als Wegweiser bei Veranstaltungen dienen. Allerdings ist der Transport nicht immer einfach. Kein Wunder, es ist ihm eigentlich auch gleich anzusehen: Paul ist kein Leichtgewicht.
Ein Beitrag von Annette Kellin.