Kein Glockengeläut zu Beginn, aber das schmucklose große Kreuz zeigte an: Die „Passionspunkte“ waren gestern Nachmittag im Ratssaal angekommen. Doch nicht, um an einem „wunden Punkt der Stadt“ eine Leidensgeschichte zu erzählen. Stattdessen gab es viel Lob und eine Auszeichnung für die besondere Andachtsform der Christus- und Garnisonkirche. Die Stiftung zur Förderung des Gottesdienstes hat der Gemeinde den Gottesdienstpreis 2017 zuerkannt.
Der Preis ehre auch die Stadt, erklärte Oberbürgermeister Andreas Wagner zur Begründung dafür, dass die Stadt zu der Verleihung in „die gute Stube“ eingeladen hatte. Der Oberbürgermeister wies darauf hin, dass etliche Mitarbeiter der Verwaltung als Fachleute an den Passionsandachten mitgewirkt haben. Wagner dankte den Kirchen, die den Menschen Halt gäben und Gemeinschaft stifteten und auf die die Stadt jederzeit bauen könne – wie gerade erst beim Brand des Seniorenheimes in Fedderwardergroden gesehen. Und er sprach von der Bedeutung gerade der Christus- und Garnisonkirche als Symbol der Stadtgeschichte und als einem Stück Heimat für die Menschen in der Stadt.
Die Anknüpfung an die örtlichen Gegebenheiten war neben der sorgfältigen Vorbereitung und der Beteiligung eines ganzen Teams ein maßgebliches Kriterium für die Entscheidung der Jury, sagte Oberkirchenrat Dr. Stephan Goldschmidt, der Vorsitzende der Stiftung. Gottesdienste seien ein zentrales Handlungsfeld für die Zukunft der Volkskirche. Die Stiftung will vorrangig zeitgemäße Gottesdienstformen fördern. Für den diesjährigen Preis wurden Beiträge zur Erinnerungskultur bewertet.
Die weite politische und stadtgeschichtliche Deutung der Passionsgeschichte stellte Oberkirchenrätin Inken Richter-Rethwisch in den Mittelpunkt ihrer Laudatio. Sie steht wie Goldschmidt in Diensten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Die Passionspunkte brächten Licht in dunkle Ecken und lüden dazu ein, die Stadt immer wieder neu zu betrachten. Geschichte werde in ihren Brüchigkeiten und Mehrdeutigkeiten dargestellt, dunkle Kapitel nicht übertüncht oder verdrängt.
Das gemeinsame Innehalten an einem Erinnerungsort, die Erklärung des Ortes durch Experten, das Füllen des Erinnerungsortes mit Musik – das alles ließ sie von einem „schönen Format“ sprechen.
Oberkirchenrat Detlef Mucks-Büker aus Oldenburg sagte die weitere Unterstützung durch die oldenburgische Kirche zu, die sich durch den Preis mitgeehrt fühle. Dorthin gehen, wo es wehtut, Fragen aufwerfen, Finger in die Wunden legen und die befreiende Botschaft Gottes zu verkünden – das werde durch die Passionspunkte beispielhaft praktiziert.
Dass die Andachtsreihe aus der Stadtkultur nicht mehr wegzudenken ist, wie die Laudatorin Richter-Rethwisch feststellte, konnten die Pastoren Frank Morgenstern und Bernhard Busemann in ihren Dankesworten belegen: 15.000 Menschen haben seit Beginn 2001 an den Passionspunkten teilgenommen. Längst werden vor ihnen auch keine Tore mehr geschlossen wie in den Anfangsjahren am Werfttor 1. Inzwischen stehen selbst die Rathaustüren offen.
Ein Beitrag von Ursula Grosse Bockhorn, Wilhelmshavener Zeitung.