Es ist so still, dass schon das Klirren eines Löffels störend wirkt. Zwei Stunden lang verfolgen die Gäste im Lambertussaal der Oldenburger St. Lambertikirche am 26. Juni beinahe atemlos den Vortrag In Freiheit und Würde ohne Mauern leben der Palästinenserin Faten Mukarker, die mit eindringlichen Worten die Situation in ihrer Heimat schildert.
Seit mittlerweile zwölf Jahren kommt die in Bonn aufgewachsene Schriftstellerin nach Deutschland, um für Verständnis und eine friedliche Lösung zu werben, wie sie sagt (siehe Interview im Anhang). Den Palästinenserinnen und Palästinensern ein Gesicht zu geben jenseits von Selbstmordattentätern und Terroristen, ist ihr ein Herzensanliegen. Mukarker weiß, dass längst nicht alle Deutschen den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern intensiv verfolgen. Deshalb gibt sie in ihrem Vortrag zunächst einen Rückblick auf den Beginn der Auseinandersetzungen, die mehr als einmal in erbitterten Kriegen zwischen den Völkern gipfelten.
Und auch jetzt wieder hänge das Damoklesschwert eines Krieges über den Ländern, macht sie deutlich. Im Moment ist es bei uns touristenfriedlich, sagt sie. Zum Glück kommen wieder Reisende ins Land, die in den vergangenen Jahren durch die Kämpfe abgeschreckt waren. Doch die Abwesenheit von Krieg sei noch lange kein Frieden, betont sie. Die Gefahr macht uns Angst. Denn der nächste Krieg wird ein Atomkrieg sein. Da hilft es nichts, sich in seinem Haus zu verkriechen und zu hoffen, dass die Bombe nicht direkt hier einschlägt. Und dann stellt sie angesichts der jüngsten deutschen U-Boot-Lieferungen an Israel eine Frage, die betretenes Schweigen auslöst: Wenn es Gott behüte zu einem Krieg kommen sollte, wie kann man hier in Deutschland damit leben, dass man dazu beigetragen hat?
Früher, vor der Siedlungspolitik Israels nach dem Zweiten Weltkrieg, so berichtet sie, lebten Juden, Muslime, Christen friedlich zusammen. Und sie zitiert ihren Großvater, der gesagt habe, der palästinensische Mensch sei nicht gegen den israelischen Menschen, sondern lebe in einem Konflikt, der ins Land importiert worden sei. Es sei Zionismus, nicht Antisemitismus, der die Kluft zwischen den Völkern bilde, und dahinter stünden nicht Menschen und Religionen, sondern blanke Ideologie. Und mein Opa, obwohl er nicht lesen und schreiben konnte, war ein weiser Mann, sagt Faten Mukarker.
Sie erzählt vom Alltag der Palästinenserinnen und Palästinenser, von immensen Wasserproblemen, während auf der anderen Seite der Grenze blühende Gärten entstehen, von Flüchtlingscamps, in denen die Menschen nach Jahren der Improvisation noch immer hoffen, in ihre Dörfer zurückkehren zu können, die längst nicht mehr existieren. Und sie erzählt davon, wie die Grenzmauern und -zäune eine unüberwindliche Barriere mitten ins Land geschlagen haben. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass alles in einem Staat in Frieden enden wird. Aber dieser Frieden muss ein gerechter Frieden sein. Als sie endet, brandet Applaus auf. Und Faten Mukarker kann sicher sein, dass sie mit diesem Vortrag ein Ziel erreicht hat: den Palästinenserinnen und Palästinensern ein Gesicht zu geben jenseits von Selbstmordattentätern und Terroristen.
Nicht schweigen, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden
Interview mit Faten Mukarker
Faten Mukarker, aufgewachsen in Bonn, lebt seit mehr als 30 Jahren in Beit Jala bei Bethlehem. In ihrer Heimat arbeitet sie als Touristenführerin und ist dafür bekannt, den Reisenden nicht nur historische Bauten, sondern auch einen kritischen Blick auf den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern in der Westbank zu vermitteln. Seit vielen Jahren hält die evangelische Christin in Deutschland und Österreich Vorträge zur Situation der Palästinenserinnen und Palästinenser.
Rund 50.000 Christinnen und Christen leben im Westjordanland. Wie ist die Situation dort für sie?
Die Christinnen und Christen sind keine ethnische Minderheit, sondern eine religiöse. Das ist ein bisschen wie ein evangelischer Pfarrer in Bayern. Wir leben mit den Muslimen in guter Gemeinschaft. Bethlehem als Geburtsort von Jesus der für die Muslime ein großer Prophet ist verbindet beide Religionen. In die Geburtskirche gehen auch Muslime zum Beten. Es ist ein wundervolles Gefühl, dort Schulter an Schulter mit einer Muslimin zu stehen und zu wissen, dass unser Glaube viele Gemeinsamkeiten hat. Diese Situation gibt es nirgends sonst auf der Welt.
Sie sind auf Ihren Vortragsreisen jedes Jahr mehrere Wochen in Deutschland. Wie nehmen Sie die deutsche Sicht auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wahr?
Der Konflikt ist für Außenstehende schwer zu verstehen, und gerade für die Deutschen ist es kompliziert, damit umzugehen. Wenn ich zu Hause gefragt werde: Welche Meinung haben die Deutschen?, dann sage ich: Es gibt zwei Sorten Deutsche die Bürgerinnen und Bürger und die Politikerinnen und Politiker. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Besetzungspolitik der Israelis nicht richtig finden. Die Politiker aber wagen es nicht, das zu sagen.
Könnten die Deutschen etwas bewegen?
Vor dem Hintergrund ihrer Geschichte sind sie unsicher, ob sie als Deutsche etwas zu dem Konflikt sagen dürfen und wenn ja, was und wie viel. Politiker auf beiden Seiten betonen immer, dass die Beziehung zwischen Deutschen und Israelis eine ganz besondere sei. Man hat dem israelischen Volk viel Leid angetan, und deshalb ist es richtig und wichtig, diese Beziehung als etwas Besonderes herauszustellen. Aber gerade wegen ihrer Historie sollten die Deutschen das Ziel haben, nie wieder zu schweigen, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Und sie müssten ihren Politikern die Angst nehmen, sich dahingehend zu äußern. Denn nur Politiker haben die Macht, etwas zu ändern.
Ihr Vortrag heißt In Freiheit und Würde ohne Mauern leben
Diese Mauer, die durch das Land geht, nennen die Israelis Sicherheitsmauer, weil sie sich damit vor den Selbstmordattentätern schützen. Natürlich hat jeder Mensch ein Recht, sich zu schützen, aber doch bitte auf seinem Grund und Boden. Die Mauer aber geht mitten durch Palästinensergebiet und hält sich keineswegs an die eigentliche Grenze. Deshalb nennen wir sie Landenteignungsmauer.
Haben die Friedensbemühungen der Jugendlichen auf beiden Seiten, die unter anderem über Facebook versuchen, Kontakte zu knüpfen, eine Chance?
Ja. Nur sie haben eine Chance. Von oben ist keine Annäherung gewollt, sie kann nur von unten kommen. Durch den Bau der Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland wächst eine Generation heran, die nicht mehr das Gesicht der anderen Seite kennt. Denkt ein Palästinenser an Israelis, denkt er an Soldaten. Der Israeli wiederum stellt sich den Palästinenser als Terroristen vor. Wie sollen da Freundschaften entstehen? Auch die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, nach zwei Weltkriegen erbitterte Erzfeinde, sind letztendlich durch persönliche Freundschaften verbessert worden, nicht durch Verträge. Und heute sind die beiden Staaten enge Partner in Europa.
Was war der Beweggrund für Sie, diese Vortragsreisen nach Deutschland zu unternehmen?
Zum Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 hatte man erwartet, Millionen von Pilgern ins Land holen zu können. Doch als es nach dem Besuch zu Ausschreitungen gekommen war, kamen nicht die erhofften Touristen, sondern Soldaten. Die Bilder in den Medien verschreckten die Menschen. Daraufhin sagte mein Pfarrer zu mir, wenn der Prophet nicht zum Berg komme, müsse der Berg eben zum Propheten gehen seither reise ich nach Deutschland und informiere in meinen Vorträgen über die Situation in der Westbank.
Sie investieren viel Zeit in Ihre Deutschlandbesuche. Was erhoffen Sie sich von Ihren Vorträgen und Gesprächen?
Ich möchte für Verständnis werben und für eine friedliche Lösung. Wenn die Menschen nach dem Vortrag sagen: Jetzt haben die Palästinenser für uns ein Gesicht bekommen und die Dinge, die sie nur aus den Medien kennen, differenzierter sehen, dann habe ich viel erreicht. Wir müssen einen Weg finden, um friedlich zu leben statt immer weiter aufzurüsten. Auch und gerade aus Liebe zu unseren Ländern.
Das Interview führte Anke Brockmeyer