Im Rahmen ihrer Reihe „Talk im Pumpwerk” stellte die Volksbank Wilhelmshaven diese Frage dem Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber und Florian Sitzmann, der als Jugendlicher bei einem Unfall beide Beine verlor. In einer gemeinsamen Gesprächsrunde teilten außerdem Pastor Frank Morgenstern von der Havenkirche in Wilhelmshaven und der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Prof. Dr. Here Folkerts ihre Erfahrungen mit beiden Rednern.
Wenn die Menschen einen tragen
Vor gut zwei Jahren erhielt Pastor Frank Morgenstern völlig unerwartet eine Krebsdiagnose. Über ein Jahr musste er sich einer schweren Behandlung mit einigen Rückschlägen unterziehen. Kurz nach seiner Genesung erkrankte seine Frau und starb drei Monate später. Das sei jetzt acht Monate her. Der Schmerz über den Verlust der wichtigsten Person in seinem Leben ist groß, sagt er. „Aber ich bin jeden Morgen optimistisch und gehe hoffnungsfroh in den Tag.“ Die Frage nach dem „Warum“ habe er sich nie gestellt, sondern seinen Blick nach vorne gerichtet. Was ihn durch die schwere Zeit seiner Krankheit und die seiner Frau getragen habe und nach wie vor trägt, sind die Menschen um ihn herum. Ihre Briefe, Nachrichten, Aufmerksamkeiten, die Gespräche mit ihnen. Und sein Glaube. Ein Glaube, der ihm nicht die Verantwortung für sein eigenes Handeln nimmt, sagt Morgenstern, sondern in dem Gott ihn begleitet und unterstützt in dem, was er tut. Glück ist kurz und flüchtig, aber wenn man es teilt, so ist er überzeugt, dann verdoppele es sich.
Volles Leben als „halber Mann“
Florian Sitzmann war 15 Jahre alt, als er vor 32 Jahren bei einem Motorradunfall beide Beine verlor. Dass das für ihn nicht das Ende seiner Träume, sondern der Anfang eines erfolgreichen und erfüllten Lebens war, hat viel mit der inneren Einstellung zu tun, sagt er. „Heute denke ich manchmal, dass ich diesen schweren Rucksack deshalb bekommen habe, weil ich ihn tragen kann.“ Nach langwieriger Reha und einer Berufsausbildung entdeckte er das Handbike für sich. Aus dem Hobby machte er Spitzensport – wurde Vizeweltmeister, nahm an den Paralympics in Athen teil und gewann als erster Handbiker das Langstreckenrennen „Styrkeproven“ in Norwegen. Seine Antreiber sind Humor und Lebensfreude, erzählt „der halbe Mann“, wie er sich selbst nennt. „Den Schalk im Nacken habe ich von meinem Großvater, damit konnte ich mich schnell selbst auf die Schippe nehmen. Und die Leidenschaft für das Leben hatte ich auch schon immer. Sie wurde nur drei Jahre durch Schmerzen eingebremst und weil ich erst mal lernen musste, in der Dusche nicht ständig umzukippen.“ Unverzichtbar für seinen Weg zurück zum Glück waren und sind die Menschen an seiner Seite, sagt der Familienvater. Und er ist überzeugt: „Schuldzuweisungen an meinen Freund, der damals das Motorrad gefahren ist, hätten mir nur alle Kraft geraubt. Das habe ich nie gemacht.“
Revolution im Tagesschauuniversum
Constantin Schreibers „Resilienzpanzer“ fing mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine an zu bröckeln, erzählt er. „Das habe ich inhaltlich und vor allem in den Bildern sehr schlimm empfunden.“ An einem Abend kam ihm die übliche Tagesschau-Abschiedsfloskel: „›Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend“ so zynisch vor, dass er daraus „ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend“ machte. Eine Revolution im Tagesschauuniversum, wie er sagt, für die er aber viel Zustimmung erhielt.
Die Freude nicht zu verlieren, war auf einmal ein Thema – nicht nur für ihn selbst, sondern auch für viele Kollegen und die Menschen an den Bildschirmen. Die Einschaltquoten der Nachrichtensendungen sanken schlagartig. Als er zusammen mit seiner Tochter wieder mit dem Klavierspielen anfing, entdeckte Schreiber, dass er dadurch auf andere Gedanken kam und abschalten konnte. Weitere Recherchen brachten ihn schließlich zu den Ansätzen der positiven Psychologie und ins Gespräch mit zahlreichen Glücksforschern. In Selbsttests erlebte er, dass nicht alle Empfehlungen zum Ziel führen. Der „Tag der Freundlichkeit“ verlief eher frustrierend, wohingegen Lachyoga ihn zwar Überwindung kostete, sich aber nach 20 Sekunden tatsächlich ein positiver Effekt einstellte.
Für Schreiber gibt es keine Alternative zum Senden der negativen Nachrichten, sagt er. „Wenn es so ist auf der Welt, dann müssen wir es auch zeigen. Das ist der Schwur einer Nachrichtensendung.“ Er selbst habe aber inzwischen einen Weg gefunden, mit der negativen Nachrichtenflut umzugehen. Seine ganz persönlichen Empfehlungen:
- Einfach mal Fernseher, Radio oder Handy abschalten.
- Mit den Menschen, die man trifft, bewusst über etwas anderes sprechen als Politik und Weltgeschehen. Das müsse man üben und sich ein Repertoire an alternativen Themen überlegen.
- Einen Zettel nehmen und zehn Punkte aufschreiben, die einen glücklich machen. Das schärfe den Blick für das Positive.
- Beim Abendessen in der Familie darüber sprechen, was schön war am Tag.
In der Tagesschau seien sie inzwischen dazu übergegangen, möglichst mit einer positiven Nachricht abzuschließen. Was wiederum für die Kirche schon immer wesentlicher Bestandteil des Gottesdienstes ist, wie Pastor Morgenstern feststellt. „Am Ende steht als Kraftspender immer der Segen. Es gibt Menschen, die vor allem deshalb kommen, weil sie diesen positiven ‚Rauswerfer’ brauchen: du gehst behütet und beschützt in den Tag.“ Ob es mehr Menschen gibt, die im Angesicht der Krisen Unterstützung bei der Kirche oder einem Psychologen suchen, vermochten weder Morgenstern noch Dr. Here Folkerts zu sagen. Der Mediziner war 25 Jahre Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Wilhelmshaven und praktiziert jetzt als niedergelassener Facharzt. „Wissenschaftlich“, so Folkerts, „ist nur bei Kindern und Jugendlichen nachgewiesen worden, dass die Krisenzeiten zu erhöhten Fallzahlen bei psychischen Erkrankungen geführt haben.“ Allgemein gelte aber, dass die Hemmschwelle gesunken ist, einen Psychiater aufzusuchen. Und Folkerts führt einen weiteren Faktor für volle Praxen an. „Ich bin nicht der Meinung, dass jedes Problem der Welt beim Psychotherapeuten beraten werden muss, aber es gibt heutzutage immer mehr Menschen, die nicht in einem intakten Familien- oder Freundeskreis aufgehoben sind und dann bleibt oft nur der Therapeut.“ Und Pastor Morgenstern kann für seine Gemeinde feststellen: „Dort, wo wir vom herkömmlichen Gottesdienstformat abweichen, haben wir eine Fülle von Veranstaltungen, die sehr gut besucht sind. Die Menschen haben Lust, sich darauf einzulassen und wir spüren ein Bedürfnis nach Seelsorge.“
Florian Sitzmann lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Südhessen. In sein Handbike setzt er sich heute vor allem aus Freude am Sport und immer wieder auch zu wohltätigen Zwecken. Mit Vorträgen und einer eigenen Show reist er durch den deutschsprachigen Raum, um Mut zu machen, Barrierefreiheit und Inklusion voranzutreiben, aber vor allem auch, um mit viel Humor Optimismus zu verbreiten.
Constantin Schreiber ist in Wilhelmshaven aufgewachsen, sein Vater war hier Oberstadtdirektor. Der 44-Jährige lebt mit seiner Familie in Hamburg. Als Journalist ist Schreiber viel in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs gewesen und arbeitete unter anderem als Reporter in Beirut und Dubai. 2016 wurde er mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet und seit 2021 ist er Sprecher der Tagesschau. Schreiber ist außerdem Autor mehrerer Bücher. Als Folge seiner „Glücksrecherchen“ erschien 2023 sein Buch „Glück im Unglück“.
Ein Beitrag von Annette Muschalik