Das massenhafte Auftreten der COVID-19-Erkrankung bei Werkvertragsbeschäftigten in der Fleischindustrie hat die unzureichenden, gefährlichen und gefährdenden, ja skandalösen Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser ansonsten wenig beachteten Beschäftigtengruppe der Wanderarbeiter in den Mittelpunkt medialer und politischer Aufmerksamkeit gerückt.
Die mehr als fragwürdigen Arbeitsbedingungen und die damit verbundenen Lebensumstände auf den industriellen Großschlachthöfen sind seit Jahren bekannt: unzureichende Bezahlung, überlange Arbeitszeiten, Mängel beim Umgang mit Krankschreibungen und katastrophale Wohnzustände. Betroffen sind meist osteuropäische Werkvertragsbeschäftigte, die gezwungen sind, sogenannte Koppelungsverträge anzunehmen, die das Arbeitsverhältnis an eine – oft unzumutbare und überteuerte – Wohnmöglichkeit bindet. In der Corona-Pandemie war es nur eine Frage der Zeit, bis in den oft engen Unterkünften die ersten Erkrankungen mit dem Virus auftreten.
Als Evangelischer Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt (KWA), der schon länger auf diese Missstände aufmerksam gemacht hat, nehmen wir jetzt konkret Stellung dazu:
1. Wir sind tief erschüttert, dass es erst einer Pandemie und des Ansteckungspotenzials eines Virus‘ bedurfte, damit wir uns für Menschen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und ihre Lebenssituation interessieren. Es geht um Menschen, die für uns harte und belastende Arbeit verrichten, die hunderte von Tieren am Tag schlachten und zerlegen, damit wir günstig Fleisch konsumieren können. Diese Menschen werden ausgebeutet. Sie müssen in nicht sanierten Gebäuden leben und diese Unterbringung auch noch teuer bezahlen.
2. Uns sind diese Menschen nicht gleichgültig. Wir verweisen darauf, was dahinter steckt: ein System der Ausbeutung, des unbarmherzigen Profitdenkens, des Ausnutzens von Angewiesenheit, Abhängigkeit und Unwissenheit sowie des skrupellosen Missbrauchs von Gesetzeslücken und mangelnden Kontrollen.
3. Einige wenige Konzerne und Player ruinieren durch ihre Geschäftspraktiken den Ruf einer ganzen Berufsgruppe. Wir erinnern daran, dass die Schlachtung Teil des Fleischerhandwerks war und ist. Die unzumutbaren Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie müssen schnellstens beseitigt und regionales Lebensmittelhandwerk gestärkt werden.
Wir fordern daher:
1. Das Verbot von Werkverträgen im Kernbereich der unternehmerischen Tätigkeit.
2. Eine Stärkung des regionalen Lebensmittelhandwerks, die Unterstützung beim Erhalt qualifizierter Arbeitsplätze in der Region sowie die Vermeidung unnötiger Transportwege.
3. Regelmäßige flächendeckende Kontrollen von Schlachthöfen und Unterkünften.
4. In den Schlachthöfen die hohen Anforderungen an Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zu erfüllen.
5. Ohne arbeitsplatzbezogene Gefährdungsbeurteilung darf kein Subunternehmer auf dem Gelände eines Schlachthofbetreibers oder eines Fleischverarbeitungsbetriebes tätig werden.
6. Wirksame Instrumente vom Bund, um Mietwucher und Mietpreisüberhöhung im Bereich der Unterbringung von Wanderarbeitern zu verhindern.
7. Einen brancheneinheitlichen Mindestlohntarifvertrag, der ein menschenwürdiges Leben und eine angemessene Unterkunft ermöglicht.
Das System, wo nur der ökonomische Aspekt im Vordergrund steht und Geld nur über die Masse verdient werden kann, wo Menschen und Tiere systematisch ausgebeutet werden, wird nun durch Corona gnadenlos aufgedeckt. Dieses System, nämlich billiges Industriefleisch auch für den Export zu produzieren, muss dringend überprüft werden.
Am 20. Mai hat das Kabinett strengere Maßnahmen für die Fleischindustrie beschlossen. Geplant sind u.a. auch ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit ab dem kommenden Jahr. Wir begrüßen diese Initiative, hoffen auf die Zustimmung des Bundestages und eine schnelle Umsetzung.
Kontakt:
Gudrun Nolte, KWA Vorsitzende und Leiterin des KDA der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland: Tel 040 30620-1351; Gudrun.Nolte@kda.nordkirche.de
Axel Braßler, KWA Geschäftsführer, 0511 473877-11; a.brassler@kwa-ekd.de
Der Evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt (KWA) ist eine Stimme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die sich im gesellschaftspolitischen Diskurs für gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit einsetzt. Durch Veranstaltungen, Publikationen und Kampagnen fördert er den Dialog zwischen Kirche, Wirtschaft und Arbeitswelt. Der KWA orientiert sich mit seinem bundesweiten Netzwerk an einer nachhaltigen und sozialen Wirtschaftsordnung, die dem Wohl des Menschen dient. Die Ev.-Luth Kirche in Oldenburg ist Mitglied des KWA.
Weitere Informationen unter: www.kwa-ekd.de