Der Oldenburger Bischof Jan Janssen hat an Heiligabend dazu aufgerufen, Menschen, die Zuflucht und einen Neuanfang suchen, aufzunehmen und in Deutschland ankommen zu lassen. „Geben wir ab, teilen wir, was reichen wird, und helfen wir weiter!“, so Bischof Janssen in seiner Weihnachtspredigt in der Christnacht in der Oldenburger St. Lamberti-Kirche.
Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingssituation sagte Bischof Janssen in seiner Predigt zu Matthäus 2,13–15, dass sich die biblische Botschaft, die auch oft von Erfahrungen auf der Flucht handele, an Weihnachten noch zuspitze. „Gott sieht nicht nur hin, hört nicht nur zu, geht nicht nur mit. Gott kommt selbst in einem Menschenkind zur Welt, um es am eigenen Leibe zu erfahren, zu den Geringsten zu gehören. Gott wird selbst ein von Flucht gezeichnetes Findelkind“, so der Oldenburger Bischof.
Die Erzählung im Matthäusevangelium, in der Josef von einem Engel angesichts der geplanten Ermordung von Kindern unter zwei Jahren zur Flucht nach Ägypten aufgefordert wird, sei ein bewegender Augenblick, so Janssen weiter. Dieser Moment sei „viel tiefer, viel weiter als alles, was wir heute in Augenschein nehmen, wenn wir von Flüchtlingskrise sprechen, von Ängsten und Obergrenzen, von Schaffen oder Nichtschaffen – und uns das Erleben der Menschen immer noch auf möglichst großer Distanz halten.“
Gott sehe nicht nur die Lebensgefahr, höre nicht nur das Schreien der Bedrückten und spüre nicht nur die Ausweglosigkeit. Gott fordere Josef sogar zur Flucht auf. „Ja, in diesem entscheidenden Augenblick unserer eigenen Glaubensgeschichte gibt es einen Gottesauftrag zur Flucht: Flieh! Geh in Deckung! Weiche aus! Bringt Euch in Sicherheit vor der Gefahr! Besser nach Ägypten, in ein Land, das nichts von eurem Gott weiß, als hier in scheinbarer Heimat, einem Land, dessen Herrscher Euch nach dem Leben trachtet!“, so Janssen.
In diesem Jahr hätten die Geschichten Gesichter bekommen. Im März habe er sie im Keller einer Kirche in Kiew und in den Straßen Beiruts zwischen Baracken und Militärposten gesehen, sagte Bischof Janssen in seiner Weihnachtspredigt. „Nun kommen sie uns nahe – die wir lange kaum von fern sehen wollten. Nun wird aus Berichterstattung Begegnung, nun kann aus dem Ausblenden neues Einschalten werden.“
Was die Bibel von Flucht erzähle, hätten diese Menschen erlebt. Mit viel Respekt und voller Dank sehe er daher alle haupt- und ehrenamtliche Hilfe rund um die Kirchengemeinden der oldenburgischen Kirche, „die Tatkraft, die guten Ideen, ob Sprachkurs oder Seelsorge, ob Fahrradwerkstatt oder Nähcafé. Jede einzelne Begegnung lässt uns neu für’s Leben lernen. Dass Migration zum Wesen des Menschen gehört, gilt nicht bloß weit weg, sondern vor unserer Haustür. Menschen, die neu zu unseren Nachbarn werden, aber auch die, die hier schon längst leben, erinnern und erzählen also unsere eigene Geschichte.“
Die Menschen in Deutschland hätten schon vielfach von den Beiträgen von Migrantinnen und Migranten profitiert, so Bischof Janssen. Er erinnerte an die Früchte südeuropäischer Kultur der sogenannten Gastarbeiter und den Fleiß der russlanddeutschen Aussiedler, die seit Ende des Kalten Krieges nach Deutschland kamen. Janssen fragte, was „wären wir in der nüchternen Oldenburger Kirche ohne die Treue und Frömmigkeit Ostpreußens, Schlesiens, Pommerns?“ Über 40.000 seien nach dem Zweiten Weltkrieg allein nach Oldenburg gekommen.
Auch die Glaubensweite der Flüchtlinge der Reformationszeit, die die evangelische Entdeckung der Freiheit eines Christenmenschen in den Nordwesten gebracht hätten, sei wichtig für die Entwicklung der Kirche im Oldenburger Land. Aber auch der motivierte und mutige Aufbruch irischer Mönche, die das Evangelium im Mittelalter zu den alten Friesen und Germanen gebracht hätten.
Das Volk Gottes kenne weder irgendeine Sprachgrenze noch eine territoriale Identität und der Kirche müsse jede nationale Grenze gleichgültig sein, betonte Bischof Jan Janssen.
Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst von der Capella St. Lamberti und Tobias Götting (Leitung und Orgel).
Hier finden Sie den vollen Wortlaut der Weihnachtspredigt von Bischof Jan Janssen im Format PDF.