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Vor einem Jahr wurde die evangelische Missbrauchsstudie veröffentlicht. Seither haben sich viele neue Betroffene gemeldet - auch in den niedersächsischen Kirchen und in Bremen, wo sich die Zahl der bekannten Fälle mehr als verdoppelte.

 

Hannover/Bremen (epd). Seit Veröffentlichung der evangelischen Missbrauchsstudie vor einem Jahr haben sich in allen Landeskirchen in Niedersachsen und Bremen neue Betroffene gemeldet. In der Landeskirche Hannover als mitgliederstärkster dieser Kirchen wurden 20 neue Fälle bekannt, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab. Acht Betroffene haben nach Angaben der Landeskirche Anträge an die Anerkennungskommission gestellt. Zudem seien zwölf Verdachtsfälle eingegangen. Zuvor seien bis Anfang 2024 insgesamt 122 bestätigte und Verdachts-Fälle bekannt gewesen.

n der Bremischen Evangelischen Kirche stieg die Zahl der bekannten Fälle von sexualisierter Gewalt nach Veröffentlichung der sogenannten Forum-Studie am 25. Januar vergangenen Jahres auf mehr als das doppelte der vorher erfassten. Laut einem Kirchensprecher waren dort zwischen 1998 und 2023 elf Fälle bekannt geworden, in denen es teilweise mehrere Betroffenen gibt. Nach dem Erscheinen der Studie kamen 17 weitere dazu.

In der oldenburgischen Kirche wandten sich acht weitere Betroffene an die kirchliche Beraterin. Dort waren 18 Beschuldigte und zwischen 25 und 30 Betroffene im Rahmen der Studie ermittelt worden. 2022 und 2023 haben den Angaben zufolge weitere 13 Betroffene Beratungsgespräche geführt. Die reformierte Kirche gab an, in der Studie zehn Fälle von sexualisierter Gewalt durch Pfarrpersonen gemeldet zu haben, weitere fünf Fälle seien seitdem bearbeitet worden.

In der kleinen Schaumburg-Lippischen Landeskirche hat sich laut einem Sprecher ein Betroffener neu gemeldet, dort waren zuvor seit den 1950er Jahren fünf Fälle bekannt. Die braunschweigische Landeskirche verwies auf eine Mitteilung vom Oktober. Bis dahin hatten sich seit Veröffentlichung der ForuM-Studie zwölf Betroffene neu gemeldet, mit Vorfällen aus den Jahren zwischen 1949 und 1998. Außerdem sei es in zwei Fällen in jüngerer Zeit um Vorwürfe von Distanzverletzungen gegangen.

Für die Studie hatte ein unabhängiges Forscher-Team Ursachen und Ausmaß sexualisierter Gewalt im evangelischen Kontext untersucht. Die Forscher sammelten dafür Fallbögen aus allen Landeskirchen und Landesverbänden der Diakonie. Sie kamen in ihrer Auswertung auf mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte, darunter 511 Pfarrpersonen. Zugleich ist aber von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Es ist die erste bundesweite Studie dieser Art.

Auch in den meisten anderen der insgesamt 20 Landesdiensten sind seitdem weitere Fälle bekannt geworden, wie die epd-Umfrage ergibt. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßte, dass sich viele weitere betroffene Personen bei den Ansprech- und Meldestellen der Landeskirchen gemeldet haben. «Es ist äußerst positiv, dass durch Aufarbeitungsschritte wie die ForuM-Studie und die damit einhergehende Aufmerksamkeit für das Thema, sich mehr betroffene Personen melden und so die Aufarbeitung insgesamt weiter vorangetrieben werden kann», sagte ein Sprecher. Die Zahlen sind dabei nur bedingt vergleichbar. Einige Kirchen gaben nur Fälle an, die vor einer Anerkennungskommission landeten, andere weitere.

Auch die Höhe der bislang gezahlten Anerkennungsleistungen für Betroffene sexualisierter Gewalt variiert. Viele Kirchen haben zusätzlich Mittel für individuelle Leistungen wie Therapien bereitgestellt. Die EKD reformiert derzeit das System für die Anerkennungsleistungen, Ziel ist eine Vereinheitlichung und mehr Transparenz für Betroffene. Investiert haben die Kirchen auch in den Ausbau ihrer Fachstellen, die in Niedersachsen und Bremen fast überall personell aufgestockt wurden und noch werden.