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„Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ lautet eine von Martin Luthers Schriften aus dem Jahre 1523. Dr. Tim Unger, Gemeindepastor in Wiefelstede, zitiert gleich zu Beginn seines Vortrags über Luthers Zwei-Regimente-Lehre im voll besetzten Gemeindesaal der Kirchengemeinde Idafehn daraus: „Wenn alle Welt rechte Christen wären, so wäre kein Fürst, König, Herr, Schwert noch Recht notwendig.“ Da das aber nicht so sei und auch manche Christen sich nicht an die christlichen Gebote hielten, müsse das weltliche Regiment für Ordnung sorgen. Gott würde – so lässt sich Luthers Vorstellung auf den Punkt bringen – durch „Gottes Reich unter Christus“ und „der Welt Reich unter der Obrigkeit“ wirken. Auch den gottgewollten Obrigkeiten hätten sich die Menschen zu fügen.

Aber – und das machte Dr. Tim Unger immer wieder deutlich – Luther sei kein Staatstheoretiker gewesen. Seine Äußerungen über das Verhältnis von staatlichen Strukturen und Kirche seien situationsbedingt und in ihrer Zeit verhaftet zu betrachten. Dennoch hätten sie das Verhältnis von evangelischen Kirchen zum Staat bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt und staatliche Institutionen sich gerne – vor allem zur eigenen Machtabsicherung – darauf berufen.

Was bleibt von Luthers politischer Ethik heute wirksam? Dr. Tim Unger zählte gleich vier Punkte auf: Erstens erinnert sie die weltlich Regierenden daran, mit politischer Klugheit und staatlichem Gewaltmonopol Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Zweitens erinnert sie daran, dass Regierende und Regierte im alltäglichen Leben wie bei politischen Entscheidungen auf die Orientierung an christliche Werte angewiesen sind. Drittens kann Luthers Theologie nicht als Legitimation eines auf Zwang ausgerichteten Obrigkeitsstaates ausgelegt werden, sondern als politisch-ethische Richtschnur des Handelns politisch Verantwortlicher. Viertens erinnert sie alle Teilnehmer an demokratischen Entscheidungsprozessen an ihre Pflichten dem Wohl des Nächsten gegenüber.

Mit dem letzten Punkt nahm Dr. Tim Unger Bezug auf einen Vortrag von Dr. Konrad Raiser, ehemaliger Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen. Dieser hatte im Frühjahr in einem Vortrag in der Ammerländer Veranstaltungsreihe „Reformation und Politik“ dazu aufgefordert, dass Christen und ihre Kirchen sich in demokratische Entscheidungsprozesse einmischen und christliche Werte in die Debatten einbringen.

Luthers Zwei-Regimente-Lehre, entstanden in der Zeit von Fürstentümern und König- und Kaiserreichen, muss nicht zu einer verhängnisvollen Rechtfertigung von Obrigkeitsstaaten werden. Dr. Tim Unger nahm sein Publikum mit auf einen Weg der differenzierten Betrachtungsweise, der Übertragungsoptionen in unsere Zeit, der kritischen Anfragen an Luthers Denken und Handeln im 16. Jahrhundert. „Richtig spannend wird es eben erst, wenn wir diese Zwei-Regimente-Lehre übertragen auf den demokratischen Rechtsstaat, in dem das Volk der Souverän ist.“ resümierte ein Zuhörer.

Der Kirchenkreis und das Evangelische Bildungswerk Ammerland beenden ihre Reihe „Reformation und Politik“ am 19. November um 20 Uhr im Haus Feldhus in Bad Zwischenahn mit einer Autorenlesung von Bodo Uibel. Der ehemalige Pastor thematisiert väterliche Erinnerungen an 1933 bis 1950 und eigene Erinnerungen an die Zeit als Pastor im Grenzgebiet der DDR von 1966 bis 1975. Eine Reise in die deutsche Geschichte mit sehr unterschiedlichen Verhältnissen von Kirche und Politik. Der Eintritt ist frei.

Pfarrer Dr. Tim Unger bei seinem Vortrag in Idafehn zur politische Ethik Martin Luthers.
Pfarrer Dr. Tim Unger bei seinem Vortrag in Idafehn zur politische Ethik Martin Luthers.