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Kevin Kühnert: Jugend und Großeltern nicht gegeneinander ausspielen

 

Die Theologin Margot Käßmann setzt sich in einem Interview dafür ein, dass ältere Menschen in der Corona-Krise als Risikogruppe eher zu Hause bleiben, damit Jüngere wieder zurück ins öffentliche Leben können. Dafür erntet sie heftigen Widerspruch.

 

Hannover/Bremen (epd). Politiker und Fachleute haben Kritik an den Äußerungen der früheren hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann zu einem zu einem Zurückstecken der Älteren in der Corona-Krise geübt. «Der Vorschlag diskriminiert Ältere und blendet aus, was wir über das Virus bisher wissen», sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Juso-Chef Kevin Kühnert am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Gerade als Jugendorganisation verwahren wir uns dagegen, gegen unsere Eltern und Großeltern ausgespielt zu werden.» Auch Bremens Altbürgermeister Henning Scherf (SPD) und die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, widersprachen Käßmann.

 

Die 61 Jahre alte frühere hannoversche Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Käßmann hatte einen «Deal» der Generationen in der Corona-Krise ins Gespräch gebracht. «Wenn ich wüsste, dass die Kleinen und Jüngeren wieder rauskönnen, wenn wir, die über Sechzigjährigen, die Risikogruppen, zu Hause blieben, wenn das der Deal wäre, dann würde ich mich darauf einlassen», sagte die Theologin. Die Älteren hätten ein gutes Leben gelebt. Deshalb sei es angesichts der Bedrohung durch Covid-19 jetzt an ihnen, zugunsten der Kinder zu verzichten.

 

Kühnert entgegnete: «Die Konfliktlinien lassen sich nicht einfach zwischen den Generationen ziehen, auch wenn Kinder aufgrund ihrer Abhängigkeit von Erwachsenen besonders verletzlich sind.» Der Vorschlag Käßmanns vermittle auch ein falsche Krankheitsbild, da auch junge Menschen an Covid-19 mit schweren Verläufen erkranken könnten.«Dazu kommt die psychische und emotionale Belastung, die die Isolation mit sich bringt.»

 

Scherf argumentierte ähnlich. «Das ist völlig verdreht - die Generationen gegeneinander auszuspielen, das geht gar nicht und ist auf eine schreckliche Weise befremdlich», sagte der 81-jährige Bestsellerautor («Grau ist bunt») dem epd. «Wir sind alle Kinder Gottes, alle schutzbedürftig und müssen in dieser Krise alle solidarisch aufeinander aufpassen», betonte Scherf, der zusammen mit seiner Frau Luise drei Kinder und neun Enkel hat. Er schätze Margot Käßmann als kluge Frau: «Aber in diesem Punkt hat sie sich verrannt.»

 

Schwaetzer (78) betonte: «Wenn Margot Käßmann nun fordert, die Alten sollen freiwillig auf Kontakte, also in der Konsequenz auch Besuche der eigenen Kinder verzichten, muss ich widersprechen: Das geht gegen die seelische Gesundheit. Darauf haben auch die Alten ein Recht.» Auch sie sehe, «dass die Kinder wieder raus müssen», sagte die frühere Bundesministerin und FDP-Politikerin: «Ich finde es nicht nachvollziehbar, dass sich Politiker nicht alle Mühe geben, Kinder wieder in den Alltag zurückkehren zu lassen.»

 

Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, sagte dem epd: «Mich befremdet, wie Frau Käßmann auch, dass bei allen Lockerungsdebatten die Rechte von Kindern kaum eine Rolle spielen. Eine zwangsweise Isolierung älterer Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen ist aber der falsche Weg.»

 

Kritik kam auch vom Grünen-Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler (35) aus Hannover. «Wir müssen uns mit Verve für die Rechte von Kindern einsetzen, ohne diese gegen die Rechte von älteren Menschen auszuspielen», sagte er dem epd. Er schätze Käßmann als Theologin und wachen Geist, aber in diesem Punkt liege sie falsch. Ihr Vorschlag laufe darauf hinaus, weite Teile der Gesellschaft in häusliche Isolation zu verbannen. Kindler setzt sich seit langem für einen Dialog zwischen den Generationen ein.

 

Zuvor hatte bereits der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, scharfe Kritik an den Äußerungen Käßmanns geübt. «In einer Zeit, in der 800.000 Pflegebedürftige systematisch in Heimen isoliert werden, sollte niemand mehr Verzicht von alten Menschen einfordern», sagte Brysch in Dortmund.

 

Käßmann selbst erneuerte im epd-Gespräch ihren Vorschlag und erläuterte ihre Position. Mit den Älteren habe sie nicht die Generation der über 80-Jährigen gemeint, die noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt habe, und am allerwenigsten die Menschen, die jetzt in den Pflegeheimen lebten. Sie habe von ihrer eigenen Generation gesprochen, den heute 60- bis 70-Jährigen. Wichtig sei, die Situation der Kinder wieder in den Mittelpunkt zu rücken, betonte die Theologin: «Mir geht es nicht darum, irgendjemandes Freiheit einzuschränken, sondern den Kleinsten und Schwächsten in unserer Gesellschaft wieder Raum zu geben.»

 

Internet: www.asphalt-magazin.de  und www.ekd.de
Deutscher Kinderschutzbund: www.dksb.de