Zum Hauptinhalt springen

Was braucht ein Mensch, um glücklich zu sein? Welche Sehnsüchte treiben ihn um und welche Ziele werden zu einem inneren Feuer? Und was ist nötig, um die ständige Unruhe, etwas verpasst zu haben, endlich loszuwerden und im Einklang mit sich selber zu leben? Diesen und vielen weiteren Fragen ging ein ökumenischer Theatergottesdienst in der St. Marien-Kirche in Schillig nach, zu dem die evangelische Pastorin Sabine Kullik aus der Kirchengemeinde Minsen und der katholische Pfarrer Lars Bratke aus der Gemeinde in Schillig im Rahmen der Sommerkirche eingeladen hatten.

Ein Gottesdienst, der die Menschen tief berührt hat, voller Intensität und Dichte. Statt einer Predigt gab es szenische Sequenzen aus „Novecento“, als Monolog angelegt von Alessandro Baricco, mit „Gänsehaut-Effekt“ umgesetzt von Sven Brormann von der Landesbühne Nord aus Wilhelmshaven.

Thematisch ging es um nicht weniger als das Leben selber. Pastorin Kullik begrüßte die Gäste in der gut besuchten Kirche, las die biblische Geschichte von der Geburt Mose und wie er ins Wasser ausgesetzt wurde, um letztlich das Leben des Jungen zu retten. Sie zeichnete als Bild des Lebens ein Boot – ein wenig im Wasser und ein bisschen an Land. So wie es ein tiefes Bedürfnis im Menschen nach Sicherheit und einem festen Platz, einer Heimat, gibt, aber auch immer wieder die Sehnsucht nach Aufbruch, nach neuen Ufern. In dieses Spannungsfeld trifft „Novecento“, ins Deutsche als „Legende vom Ozeanpianisten“ übertragen. Es geht um einen Neugeborenen, der von seinen mittellosen Eltern in einem Pappkarton auf einem Ozeandampfer zurückgelassen wird, wohl um Schwierigkeiten mit der Einwanderungsbehörde zu vermeiden. Ein Maschinist kümmert sich fortan um ihn, nennt ihn unter anderem „Novecento“, 1900 – nach dem Jahr, in dem er ihn fand. Als der Mann stirbt, ist der Junge erst acht, er verschwindet, um aber nach einiger Zeit wieder aufzutauchen und fortan die Passagiere des Ozeanriesen mit seiner Musik zu verzaubern. Er wird zur Pianolegende, er spielt, wie noch nie jemand zuvor gespielt hat.

Novecento wird zeitlebens nicht von Bord gehen, er lernt einen Trompeter, Timm Tooney, kennen, der sein bester Freund wird. Der Monolog wird größtenteils aus der Sicht dieses Freundes erzählt. Novecento wird die Welt niemals direkt erleben, dennoch kennt er die ganze Welt, er sieht sie in den Augen der Passagiere, die ihm begegnen. Die Geschichte, die Baricco erzählt, ist hoch poetisch, wenngleich sie in Prosa verfasst wurde. Es geht um Glück und um Leid, um die Frage, wie man sich im Leben einrichten kann, auch wenn nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen, um den Wechsel der Perspektiven, der oft nötig ist, um die Unzufriedenheit zu besiegen und vieles mehr. Novecento ist es am Ende gelungen, „das Unglücklichsein zu entwaffnen.“

Schauspieler Sven Brormann gelang es, die Besucher des Gottesdienstes regelrecht zu fesseln. Mit minimalen Mitteln ließ er eine lebendige Welt an Bord entstehen, nahm die Zuschauer mit auf die Reise der inneren Wandlung des Protagonisten. Die einzelnen Sequenzen wurden sehr gelungen durch musikalische Einheiten unterbrochen, die von Angelika Hillebrand als Urlaubskantorin aus Dorfen bei Erding am Klavier interpretiert wurden. Pastorin Sabine Kullik und Pastor Lars Bratke übernahmen die liturgische Gestaltung dieses ungewöhnlichen Gottesdienstes.
Annette Kellin

 

Theater statt Predigt: Schauspieler Sven Brormann spielte in der St. Marien-Kirche zu Schillig Szenen aus „Novecento“.
Theater statt Predigt: Schauspieler Sven Brormann spielte in der St. Marien-Kirche zu Schillig Szenen aus „Novecento“.
Kurzes Gespräch mit den Besuchern: Pastorin Sabine Kullik und Pfarrer Lars Bratke nach dem Gottesdienst. Fotos: Annette Kellin