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Die Täufer glauben: Christ sein kann nur, wer sich bewusst für ein Bündnis mit Gott entscheidet und als Erwachsener taufen lässt. Vor 500 Jahren haben andere Reformatoren Angst vor solch radikalem Glaubensverständnis. Bald lodern die Scheiterhaufen.

 

Göttingen/Emden (epd). Georg Blaurock ist der erste. Bei einer Versammlung in Zürich am Abend des 21. Januar 1525 steht er auf und bittet den Prediger Konrad Grebel «um Gottes willen, dass er ihn taufen möge mit der rechten christlichen Taufe auf seinen Glauben und seine Erkenntnis». So beschreibt es die «Hutterer Chronik». Grebel nimmt laut dem Bericht eine Schöpfkelle voll Wasser und gießt es über Blaurock. Alle anderen Anwesenden lassen sich ebenfalls taufen.

Dieses Ereignis vor 500 Jahren gilt als die erste Erwachsenentaufe. Das Problem dabei: Sie war aus kirchlicher Sicht verboten. Denn alle, die sich an diesem Abend taufen lassen, waren natürlich schon als Kinder getauft worden.

Es ist die Zeit der Reformation. Acht Jahre zuvor - im Jahr 1517 - hat Martin Luther (1483-1546) mit seinem Thesenanschlag in Wittenberg kirchliche Missstände angeprangert. Die Täufer-Bewegung ist ein weiterer Flügel des reformatorischen Aufbruchs. Sie setzt sich für radikalere Reformen im Christentum ein als beispielsweise Luther und Ulrich Zwingli (1484-1531).

Schon seit einigen Jahren ziehen manche Protestanten, vor allem in Süddeutschland und der Schweiz, die Kindertaufe in Zweifel. In ihrem Verständnis ist die Taufe ein Bündnis mit Gott, das auf einem persönlichen Bekenntnis beruht, zu dem nur mündige Erwachsene fähig sind. Die Kindertaufe ist für sie bloß ein «unnütz Waschen des Kinderkopfes».

Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann sieht in der Ablehnung der Kindertaufe eine mehr oder weniger offene Kampfansage an die anderen Reformatoren. Denn sie bedeute, «die Erbsündenlehre beziehungsweise das ihr zugrundeliegende Menschenbild und das mit ihr verbundene Erlösungskonzept infrage zu stellen, dazu die Rolle der Amtsgeistlichkeit und nicht zuletzt die Notwendigkeit der Heilsanstalt Kirche». Die Täufer treten für eine Kirche ohne Hierarchie und Klerus ein.

Kaufmanns Hamburger Kollege Fernando Enns nennt noch weitere Gründe, die die Täufer in scharfen Gegensatz zu den weltlichen und geistlichen Autoritäten bringen. Die Ablehnung der Kindertaufe habe nicht nur an den Grundfesten der Kirche gerüttelt, sondern der Gesellschaft insgesamt. «Taufbücher sind damals so etwas wie das Einwohnermeldeamt», sagt er. «Man kann nicht Bürger eines Landes sein, ohne getauft zu sein.»

Am 18. Januar 1525 droht der Zürcher Rat, jeden zu verbannen, der sein Kind nicht innerhalb von acht Tagen nach dessen Geburt taufen lässt. Drei Tage später belegt der Rat die Prediger Konrad Grebel und Felix Manz mit Redeverbot. Am Abend dieses Tags versammeln sich die Täufer, es kommt zu eben jener ersten Erwachsenentaufe.

Im März 1526 droht die Stadt Zürich jedem Täufer mit dem Tod. Der Prediger Manz wird im Januar 1527 im Fluss Limmat ertränkt. Viele Täufer verlassen Zürich. Dort, wo sie sich niederlassen, entstehen neue Täufergemeinden, hauptsächlich im Elsass, am Niederrhein und in den Niederlanden.

Das Zürcher «Täuferproblem» wird so eines für das ganze Reich. Reformatoren wie Luther oder Philipp Melanchthon (1497-1560) bekommen Angst, sie könnten die Unterstützung ihrer weltlichen Herrscher verlieren, wenn sich die Reformation in die radikale Richtung der Täufer entwickelt. Sie drängen die Fürsten dazu, die Täufer zu verfolgen. Seit einem Reichstag in Speyer im Jahr 1529 droht den Täufern reichsweit die Todesstrafe, im «Augsburger Bekenntnis» von 1530 gelten sie als Ketzer. Überall im Reich lodern die Scheiterhaufen. Auch der erste erwachsene Täufling Blaurock wird 1529 im Feuer getötet.

Dennoch gelingt es den Täufern im westfälischen Münster, bei einer Ratswahl die Mehrheit zu erringen. In der Folge entsteht das sogenannte Täuferreich von Münster, in dem die Ideen des Täufertums zu einem radikalen Exzess getrieben werden. Weil alle Menschen Christi nachfolgen sollen, verbieten die neuen Herren der Stadt Privateigentum. In Bilderstürmen verwüsten sie Kirchen und Klöster, verbrennen Bücher, schlagen Kunstgegenstände kurz und klein. Andersdenkende lassen sie hinrichten.

Die Täufer gehen vom nahen Ende der Welt aus und sehen Münster als ein neues Jerusalem. Als dessen «König» lässt sich der Täuferführer Jan van Leiden krönen. Der Fürstbischof von Münster macht dem Täuferreich im Juni 1535 schließlich ein Ende. Seine Truppen belagern und stürmen die Stadt, töten in einer Gewaltorgie Hunderte Täufer.

Ein halbes Jahr darauf werden die Körper Jan van Leidens und zweier weiterer Täufer öffentlich mittels glühender Zangen auseinandergerissen. Ihre geschundenen Leichen lässt man jahrzehntelang zur Abschreckung in Käfigen vom Turm der Lambertikirche hängen. Die Käfige hängen dort noch heute. Nach Münster setzen sich bei den Täufern jene durch, die strikte Gewaltfreiheit vertreten. Erwachsenentaufe und strenger Pazifismus sind noch heute Prinzipien von Nachfahren der Täufer-Bewegung wie den Mennoniten. Deren Name leitet sich von dem aus Friesland stammenden Prediger Menno Simons (1496-1561) ab, einem ehemals katholischen Priester, der um 1536 zur Täuferbewegung konvertierte.

Der Hamburger Theologe Enns, selbst mennonitischer Theologe mit Wurzeln in Brasilien, sieht in der Verfolgung der frühen Täufer einen der Faktoren für das Überleben der Bewegung. «Märtyrerblut ist enorm fruchtbar», sagt er. Wer so für seinen Glauben leide, mache ihn für andere attraktiv. Zudem habe sich das Täufertum auch durch vertriebene Glaubensflüchtlinge verbreitet, beispielsweise nach Nord- und Südamerika. Ein weiterer Erfolgsfaktor seien die modernen Ideen der Täufer gewesen: die Trennung von Kirche und Staat oder die freie Religionsausübung. Damals noch die Position einer radikalen Minderheit, sind solche Ideen heute Allgemeingut.