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Hannover/Karlsruhe (epd). Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Einschränkung des Kopftuchverbots an Schulen hat am Freitag in Niedersachsen überwiegend Zustimmung, vereinzelt aber auch Skepsis hervorgerufen. Die evangelischen Kirchen bewerteten das Urteil positiv: «Wir begrüßen, dass sich das Gericht klar für religiöse Glaubensäußerungen im öffentlichen Raum und öffentlichen Dienst und damit gegen ein laizistisches Staatsverständnis ausgesprochen hat», sagte der Ratsvorsitzende der Kirchen-Konföderation, Landesbischof Ralf Meister, in Hannover.

Die islamischen Landesverbände reagierten mit großer Freude auf die Entscheidung. Auch die Migrationsbeauftragte des Landes, Doris Schröder-Köpf (SPD), begrüßte das Urteil. Zurückhaltend reagierte dagegen die Landtagsopposition von CDU und FDP. Die rot-grüne Landesregierung erklärte, das Urteil müsse nun gründlich geprüft werden.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Freitag in einer Grundsatzentscheidung erklärt, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen gegen die Religionsfreiheit verstößt. Demnach genügt für ein solches Verbot keine abstrakte Gefahr für Neutralität und Schulfrieden durch das Tragen eines Kopftuchs. (AZ: 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10)

Für den islamischen Landesverband «Schura» sprach Vorstandsmitglied Annett Abdel-Rahman von einem sehr großen Schritt in die richtige Richtung. «Jetzt ist klar, dass kopftuchtragende muslimische Frauen künftig islamische Religion und zum Beispiel Mathematik unterrichten können.» Niedersachsen müsse sein Kopftuchverbot abschaffen.

Geschäftsführerin Emine Oguz vom türkisch-islamischen Verband «Ditib» sagte, das Urteil sei «wie vom Himmel herabgefallen». Die Diskussion habe sich jetzt vom Politischen auf das Juristische verlagert. Ihr Verband hoffe auf eine rasche Einigung beim geplanten Staatsvertrag mit dem Land, wolle sich aber auf die notwendigen Diskussionen einlassen: «Wir möchten nicht den Schulfrieden gefährden und uns auch nicht dem Bildungsauftrag der Schulen entgegenstellen.»

Regierungssprecherin Anke Pörksen erklärte, für inhaltliche Aussagen sei es noch zu früh, da der Wortlaut des Urteils noch nicht vorliege. «Wir müssen abwarten, zu was es uns möglicherweise auf gesetzlicher Ebene verpflichtet.» In Niedersachsen dürfen muslimische Lehrerinnen bislang das Kopftuch nur im islamischen Religionsunterricht tragen. Außerhalb dieses Unterrichts müssen sie es ablegen.

Die Migrationsbeauftragte Schröder-Köpf hob hervor, das Urteil spiegele die Lebenswirklichkeit vieler islamischer Religionslehrerinnen wider. Der Beschluss ermögliche ihnen mehr Freiheit bei der Wahl und der Ausübung ihres Berufes: «Auf die Inhalte des Unterrichts kommt es an und nicht darauf, ob eine Lehrerin ein Kopftuch trägt.»

CDU-Fraktionschef Björn Thümler erwartet, dass das Urteil kaum Auswirkungen auf die Praxis an niedersächsischen Schulen haben wird.
Die Entscheidung sage letztlich aus, dass im Einzelfall entschieden werden müsse. Genau das sehe das niedersächsische Schulgesetz vor.

Die frühere schwarz-gelbe Landesregierung habe sich vor Jahren bewusst gegen ein pauschales Verbot entschieden. Für die FDP sagte Christian Grascha, die Frage des Kopftuchs müsse weiterhin im Wesentlichen von den Praktikern vor Ort entschieden werden.

Der Göttinger Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig äußerte Bedenken zum Kurswechsel des Verfassungsgerichts in der Kopftuch-Frage. Die Entscheidung hinterlasse einen zwiespältigen Eindruck. Der Beschluss wirke einerseits «entdramatisierend» und lasse in größerem Maße als bisher in Bundesländern Lehrerinnen mit Kopftuch zu. Allerdings verliere die Politik an Orientierungssicherheit. Es sei keinesfalls ausgemacht, dass die nun gebotenen Einzellösungen vor Ort mehr Rechtsfrieden brächten als eine gesetzliche Regelung für das gesamte Bundesland.