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Hannover; Göttingen (epd). Nach Ansicht des Juristen Andreas Basse hat sich die Kirchenverfassung der hannoverschen Landeskirche in den hundert Jahren seit ihrem Bestehen als erstaunlich stabil erwiesen. «Fast 400 Jahre lang waren die evangelischen Landeskirchen Fürsten und Königen unterstellt, bis die Weimarer Reichsverfassung 1919 das Staatskirchentum abschaffte», sagte Basse dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach einer Phase der Neuorientierung sei im April 1924 eine Verfassung in Kraft getreten, die trotz der Überarbeitungen von 1971 und 2020 im wesentlichen gleichgeblieben sei. Dazu gehöre etwa die Unterscheidung der drei Ebenen Gemeinde, Kreis und Landeskirche.

Basse äußerte sich am Rande der Jahrestagung der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte in Hannover zum Thema «100 Jahre Kirchenverfassungen in Niedersachsen». Er promoviert am Lehrstuhl für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht der Universität Göttingen über Kirchenordnungen im 19. Jahrhundert.

Nach dem Ersten Weltkrieg sei den Kirchen die Neufindung nicht leichtgefallen, erläuterte Basse. «Das nationale und völkische Selbstverständnis war noch sehr stark.» Zudem hätten sich viele kirchliche Würdenträger mit dem vormaligen Bündnis von Thron und Altar wohlgefühlt. «Es bedeutet nämlich auch, dass die Kirche Einfluss auf den Staat nehmen konnte.»

Bis 1918 habe die Kirchengewalt beim Landesherrn als oberstem Bischof gelegen, im Fall der hannoverschen Landeskirche, die seit 1866 zu Preußen gehörte, zuletzt beim preußischen König Wilhelm II. Durch die neue Verfassung sei die Kirchengewalt endgültig auf Kirche und Kirchenvolk übergegangen, sagte Basse. «Die Väter der Kirchenverfassung suchten Halt in staatlichen Prinzipien wie Repräsentation und Demokratie.» So werde auch das neu eingerichtete Amt des Landesbischofs bis heute per Wahl durch die Landessynode besetzt.

Tatsächlich hatte die Arbeit der Synoden nach Basses Einschätzung bis in die 1930er Jahre «fast schon parlamentarischen Charakter». Insofern sei in der Weimarer Republik die Bezeichnung dieses gesetzgebenden Organs als «Kirchenparlament» durchaus treffend gewesen. Doch nach der Unterwanderung weiter Teile der Kirchen durch die Nazis habe ein Sinneswandel eingesetzt. «In der Nachkriegszeit etablierte sich die Auffassung, dass sich die Kirche nur dann vor weltlicher und staatlicher Einflussnahme schützen könne, wenn nicht parlamentarische Prinzipien wie Konflikt und Kompromiss die Synoden leiten, sondern das Ideal der Brüderlichkeit und Einmütigkeit.»

In dieser Neuinterpretation spiegele sich der Grundkonflikt zwischen Kirchenrecht und kirchlichem Auftrag, wie es der Kirchenrechtler Rudolph Sohm (1841-1917) auf den Punkt gebracht habe: «Das Wesen der Kirche ist geistlich, das Wesen des Rechts ist weltlich. Das Wesen des Kirchenrechts steht mit dem Wesen der Kirche im Widerspruch.» Dennoch sei die Verfassung der Landeskirche ein guter Kompromiss, betonte Basse. «Ich bin mir sicher, dass sie noch lange Bestand haben wird.»