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Ein Vorbild religiöser Toleranz findet sich in Neustadtgödens (Gemeinde Sande) im Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven. In früheren Zeiten lebten hier christliche Gemeinschaften mit katholischer sowie evangelischer Ausrichtung mit Mennoniten und jüdischen Bürgern einträchtig zusammen. Ausgrenzungen waren vollkommen unbekannt – zumindest innerhalb der Bevölkerung. Mit dieser Thematik beschäftigte sich auch eine Sonderausstellung, die in diesem Jahr viele Interessierte besucht haben. Unter dem Thema „Jüdische Nachbarn“ wurde vor dem Hintergrund der Pogromnacht, die sich jetzt zum 75. Mal jährte, das alltägliche Leben der Juden in dem Ort nachgezeichnet.  
 
Die Ausstellung wurde so interessiert aufgenommen, dass sie nun auch in der Saison im kommenden Jahr gezeigt werden soll und sogar noch erweitert wird. Denn im nächsten Jahr ist es 100 Jahre her, dass der Ausbruch des ersten Weltkriegs zahllose Menschen in Leid und Verzweiflung stürzte. Damals gab es auch in Neustadtgödens noch etliche Juden, die in den Krieg zogen, um für Deutschland zu kämpfen. Das soll an Beispielen verdeutlicht werden.  

Zum Abschluss der diesjährigen Saison aber schlüpfte Gästeführer Werner Kleinschmidt noch einmal in seinen Mantel, legte den Gebetsschal um und bedeckte den Kopf mit der Kippah, um als jüdischer Lehrer Simon Rosenstein mit den Teilnehmern der Führung die Orte im Dorf aufzusuchen, an denen früher wichtige Einrichtungen des jüdischen Lebens zu finden waren. Auch die Straßen und Häuser, die in der Pogromnacht zu unrühmlichen Ehren gekommen waren, fanden bei dieser Führung eine ganz besondere Beachtung.

Eine gedrückte Stimmung unter den Teilnehmern der Führung war deutlich zu spüren, als die Gruppe um Werner Kleinschmidt an der Stelle stand, an der die Juden damals, in der Novembernacht 1938, zusammen getrieben wurden. Auch das Haus existiert noch, in dem noch kurz zuvor eine jüdische Feier stattgefunden hatte, das dann aber zu Verhören genutzt wurde. In alten Gerichtsakten sei zu lesen, dass der SA-Anführer seine Leute angewiesen habe, dem Befehl von oben zu gehorchen, die Juden zusammen zu treiben, aber gleichzeitig die Weisung ausgegeben habe, sich ordentlich zu benehmen, weil es sich schließlich um Nachbarn handele, berichtete Kleinschmidt.

In Neustadtgödens ist in der Pogromnacht die Synagoge nicht in Brand gesteckt worden. Fraglich ist allerdings, ob es aus Rücksicht auf die jüdische Bevölkerung geschah, die Tür an Tür mit allen anderen lebten oder ob es die Furcht vor einer regelrechten Feuersbrunst war, denn die Synagoge war bereits zuvor entwidmet worden, stand in enger Bebauung in einer Häuserzeile und diente zu der Zeit als Farbenlager, das somit hoch entzündlich war.

Werner Kleinschmidt alias Simon Rosenstein ist es wichtig, nicht nur Historisches zu berichten, er will beunruhigen. Hinter vielen Berichten lässt er gerne ein unsichtbares Fragezeichen stehen. „Ich gebe nur eine Anregung, weiter zu fragen oder zu lesen“, sagt er und berichtet unter anderem von den weit verzweigten Wurzeln des Antisemitismus, die Jahrhunderte zurück liegen und keine Erfindung der Nationalsozialisten sind. Es wäre gefährlich, diese üble Strömung darauf zu reduzieren, meint der Gästeführer am Rande.
Das Museum im Landrichterhaus, in dem die Ausstellung zu sehen war und von wo aus die Führungen organisiert wurden, hat zwar jetzt die Winterpause eingelegt, Gruppen können aber trotzdem noch Führungen buchen. Informationen gibt es unter Telefon 04422 / 958835.

Annette Kellin

Werner Kleinschmidt als jüdischer Lehrer Simon Rosenstein weiß viel über die jüdische Bevölkerung zu erzählen.
Weit früher als im Nationalsozialismus mussten sich Juden bereits kennzeichnen, und zwar europaweit. Hier mit einem Kreis, so wollte es im Mittelalter ein Papst.
In Neustadtgödens ist die Synagoge noch erhalten, hat aber bauliche Veränderungen erlebt. Der Davidstern ist gebrochen, ein Zeichen, dass die Gemeinde aufgelöst wurde. Fotos: Annette Kellin