Als wir die Reihe Avicenna zur islamischen und europäischen Kulturgeschichte vor einem halben Jahr geplant haben, wussten wir nicht, wie aktuell dieses Thema sein würde. Mit diesen Worten begrüßte Pfarrerin Brigitte Gläser, Leiterin der Akademie der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, am Donnerstag, 23. Oktober, die Gäste zu einem ganz besonderen Vortrag. Mit seinem Referat Der Beitrag des Islam zur europäischen Kulturgeschichte bot der Religions- und Islamwissenschaftler Prof. Dr. Peter Antes eine ungewöhnliche Perspektive auf die Geschichte des Islam.
Wir haben uns angewöhnt, den Islam mit dem Blickwinkel nach der Entstehung des Koran zu betrachten. Um ihn zu verstehen, ist es aber wichtig zu sehen, was prägend war in der Zeit seiner Entstehung. Knapp 40 Gäste verfolgten die Ausführungen des Islamwissenschaftlers von der Leibniz-Universität in Hannover im Veranstaltungsraum des Ev. Hospizdienstes Oldenburg und diskutierten im Anschluss an den Vortrag mit Antes sowie dem Islam-Beauftragten der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, Pfarrer i.R. Michael Munzel, und dem Dialogbeauftragten der Oldenburger Haci-Bayram-Moschee, Yakup Castur.
Der fundamentalistische Islam will sich mit seiner Brutalität und vielem, was uns fremd ist, von uns abgrenzen. Tatsächlich aber ist uns der Islam an sich viel näher als wir denken, betonte Antes. Er näherte sich der Entstehung des Koran zunächst religionsgeschichtlich: Zwischen dem dritten und sechsten Jahrhundert wurden die heiligen Schriften neu interpretiert, es war die Formierungszeit von Juden- und Christentum. In dieser Zeit entstand die Frage, wie Jesus überhaupt zu deuten ist. Ein Prozess, der auf dem Gebiet der heutigen Türkei stattfand. Der Koran entpuppt sich vor diesem Hintergrund immer mehr als ein Text, der zu diesen Fragen Position bezieht zunächst in eher loser Form, später immer konkreter. Dass es tatsächlich um die Entwicklung einer neuen Religion ging, sei damals noch gar nicht klar gewesen.
Gleichzeitig galten die Araber jener Zeit als Vermittler zwischen den Kulturen. Über die islamische Welt kam der Kontakt zur Seidenstraße, hier war der Dreh- und Angelpunkt, der auch europäische Händler mit einer Hochkultur in Kontakt brachte, von der Europa damals noch weit entfernt war. Medizin, Naturwissenschaft, aber auch Architektur waren viel weiter entwickelt als im Okzident. Die Offenheit gegenüber Andersgläubigen war groß, betonte Antes.
Längst nicht alles in der arabischen Kultur ist islamischen Ursprungs. Im zwölften Jahrhundert schließlich erlebt die arabische Kultur ihre Blütezeit. Aber sie entwickelte sich auch zu einer Einbahnstraße, weil die Araber sich anderen Bewegungen und Entwicklungen mehr und mehr verschlossen. Das erkläre den Bruch in der weiteren völlig unterschiedlichen Entwicklung des arabischen und des europäischen Raumes.
Über die Literatur allerdings habe es später wieder Annäherungen gegeben, so der Islamwissenschaftler. Er verwies unter anderem auf Goethes Gedichtsammlung West-östlicher Divan von 1819, in der sich der deutsche Dichter insbesondere mit dem persischen Dichter Hafis aus dem 14. Jahrhundert auseinandersetzte. In der Gegenwart findet genau das wieder statt, sagte Antes und nannte beispielhaft Salman Rushdie (www.salman-rushdie.com) und Navid Kermani (www.navidkermani.de). Rushdie hat beispielsweise angegeben, zu seinen Satanischen Versen von Faust inspiriert worden zu sein.
Und Kermani, ausgezeichnet mit höchsten literarischen Preisen, ist vielen Deutschen unter anderem aus seiner Rede im Bundestag zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes im Mai dieses Jahres präsent (www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/-/280688).
Trotz aller Verbindungen gelte der Islam primär als etwas Abschreckendes, als etwas, das mit uns in der westlichen Welt nichts zu tun habe, formulierte Antes die Ängste vieler Menschen. Das Bewusstsein des arabischen Erbes, das bis heute auch unsere Kultur prägt, war für die Zuhörer ein entscheidender Aspekt. Der Koran werde das wurde in den Diskussionsbeiträgen der in weiten Teilen gut informierten Gäste deutlich überwiegend fundamentalistisch wahrgenommen.
Wer sich diesen einseitigen Blickwinkel bewusst mache, könne ganz anders auf Muslime zugehen, so der Tenor. Auch die Rolle der Medien wurde in der Diskussion beleuchtet: Welche Bilder liefert das Fernsehen, welche Informationen setzen sich in unseren Köpfen fest? Wie vielseitig oder einseitig sind die Nachrichten? Wie sehr suchen wir nach Indizien, die unser Bild vom Islam bestätigen, statt differenzierter nachzufragen und hinzuschauen? All diese Fragen beschäftigten die Teilnehmenden der lebhaften Diskussion.
Ein Beitrag von Anke Brockmeyer.
Informationen zu weiteren Veranstaltungen:
Die weiteren Termine der vierteiligen Reihe Avicenna finden Sie hier: www.akademie-oldenburg.de/dokumente/upload/10fe0_flyer_avicenna_reihe_2014-15.pdf