Für die einen ist es die Stadt, in der sie geboren wurden. Andere denken dabei an den Ort, an dem sie sich wohlfühlen – „Heimat hat heute viele Namen“, ist Thomas Kossendey überzeugt. Der Präsident der Oldenburgischen Landschaft bot in seinem Vortrag auf dem Symposium „Aufbruch und Ankunft. Auf dem Weg in eine neue Heimat“ aber auch seine ganz eigene Interpretation des Begriffs an. „Heimat“, sagte er am Samstag vor rund 65 Zuhörern im Oldenburger Schloss, „ist Zugehörigkeit.“ Sie sei da, wo ein Mensch eine Stimme hat, wo ihm zugehört wird. So verstanden grenze der Begriff Heimat nicht aus, sondern lade vielmehr dazu ein dazuzugehören.
Dazugehören, eine neue Heimat finden: Das wünschen sich auch viele Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen – mehr als eine Millionen waren es im vergangenen Jahr. Längst haben die Kirchen auf die Herausforderung reagiert, richteten neue Stellen ein und stellten Geld zur Verfügung. Im zweiten Schritt müsse es nun darum gehen, den Austausch zu suchen und entsprechende Projekte anzustoßen, betonte Uwe Fischer, Studienleiter der Evangelischen Akademie.
Gemeinsam mit Olaf Grobleben, Beauftragter für Ethik und Weltanschauungsfragen in der oldenburgischen Kirche, hatte er die Veranstaltungsreihe, zu der auch das Symposium zählt, ein Jahr lang vorbereitet. Anlass war seinerzeit das Angebot der Leihgeberin Christa Kraemer, den Zyklus „Exodus“ von Marc Chagall nach Oldenburg zu bringen. Ihnen sei schnell klar gewesen, dass sie die geplante Ausstellung im Oldenburger Schloss in einen aktuellen gesellschaftlichen Bezug setzen wollten, erinnert sich Uwe Fischer. Bei der biblischen Geschichte von dem Auszug aus Ägypten hätten die Themen Flucht und Vertreibung nahegelegen.
Kamal Ali hat das alles selbst erlebt. Vor zwei Jahren floh er aus Syrien. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion sprach er am Samstag über das Land, das er hinter sich lassen musste. Über die gute syrische Küche mit ihren vielen Gewürzen, aber ebenso über die Bomben und das Leid. Noch heute lebt dort ein Teil seiner Familie, besuchen kann er sie nicht. „Das ist natürlich traurig“, sagt Kamal Amil, der hier in Deutschland noch einmal ganz vor vorne anfangen musste. Jetzt hat er eine Ausbildung zum Sozialassistenten begonnen.
Auch Diskussionsteilnehmerin Zeliha Aykanat kam vor Jahren als Fremde nach Deutschland. Doch für die heute 47-Jährige mit den türkischen Wurzeln war der Anfang anders. Ihr Vater, ein Gastarbeiter, holte einen Teil der Familie damals nach – darunter die erst vierjährige Zeliha. Sie habe sich damals sehr schnell eingelebt, erinnerte sie sich, vielleicht auch, weil sie eben nicht in einer der anonymen Großstädte gelandet sei. „Jeder kennt hier jeden“, sagt die Migrationsberaterin aus Nordenham. So, glaubt sie, werde man eher angenommen, eher wahrgenommen. „Für mich“, erklärt sie, „ist Nordenham meine Heimat.“
Heimat: Ein Wort, das Oberkirchenrat i.R. Hans-Joachim Schliep vom Verein „Begegnung – Christen und Juden in Niedersachsen“ lange Zeit nicht in den Mund nahm. Zu verpönt sei es gewesen, zu missbraucht. „Die Nazis haben alle guten deutschen Wörter zerstört“, sagt er. Vorsichtig müsse man auch heute noch mit dem Begriff sein, dürfe ihn nicht unreflektiert nutzen.
Otto Groote hat seine ganz eigene Art, mit dem Thema Heimat umzugehen. In seinen plattdeutschen Liedern singt der gebürtige Ostfriese vom blauen Licht des Nordens, vom Strand, dem platten Land. Je deutlicher er gewusst habe, wo er zu Hause ist, umso leichter sei es ihm gefallen, Fremde auf sich zukommen zu lassen, erzählt der in Bremen lebende Musiker. „Da, wo ich das Gefühl habe, die Menschen sind bei sich, da sind sie auch immer offen.“
Die Ausstellung „Marc Chagall – Der Exodus-Zyklus“ mit 24 Farb-Lithografien des Künstlers ist noch bis zum 19. Juni im Oldenburger Schloss zu sehen.
Melanie Thiel de Gafenco