Wer von den Porträtierten ist nun behindert und wer nicht? Unmöglich, es zu erkennen und es ist auch egal. Wir wollen einfach zusammen arbeiten und Ideen entwickeln, gemeinsam etwas auf die Beine stellen, sagt Irrlichter-Gründungsmitglied Paul Hartjens. Die Fotoausstellung der Gruppe ist bis zum 27. Juli im Bürgerbüro-Mitte am Pferdemarkt in Oldenburg zu sehen.
Fotografien von Gesichtern, in farbiges Licht getaucht und mit projizierten Buchstaben bestrahlt, die sich erst auf den zweiten Blick als die Namen der Porträtierten entpuppen: Für die Ausstellung Schublade auf Stempel drauf fotografierten sich die 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der integrativen Gruppe Irrlichter aus Detmold. Sie schufen Bilder, auf denen es auch auf den dritten und vierten Blick noch viel zu entdecken gibt. Es sind Werke von Menschen, die sich nicht als behindert oder nichtbehindert abstempeln lassen, sondern die der Welt ihren eigenen Stempel aufdrücken, betonte Pfarrerin Brigitte Gläser von der Evangelischen Akademie, die die Ausstellung veranstaltet, bei der Eröffnung im Juni.
Ich finde es schön, dass wir hier im Bürgerbüro, wo Besucherinnen und Besucher vielleicht gestresst auf ihren Stempel warten, solche Bilder zeigen. Bilder, die von Menschen gemacht wurden, die sich in ihrer Kreativität und Lebensfreude nicht behindern lassen, so Gläser. Die Ausstellung findet im Rahmen einer Programmreihe der Evangelischen Akademie zum Thema Inklusion und Ausgeschlossensein statt.
Hausherr Ralph Wilken, Amtsleiter von Bürger- und Ordnungsamt, und die Leiterin der Fachstelle Inklusion der Stadt Oldenburg, Susanne Jungkunz, zeigten sich beeindruckt und begrüßten die Gäste sowie Mitglieder des Blauschimmel Ateliers, die die Eröffnung mit einer Masken-Pantomime begleiteten. Beim Thema Inklusion geht es um gegenseitigen Respekt und darum, einander auf Augenhöhe zu begegnen, sagte Jungkunz ein Anspruch, dem die Irrlichter seit 34 Jahren gerecht werden.
Wir sind stolz auf die Konstanz unserer Gruppe, so Irrlichter-Gründungsmitglied und Projektleiter Paul Hartjens, und darauf, dass wir fast paritätisch mit Behinderten und Nichtbehinderten besetzt sind. Unser Anliegen ist es, die Grenzen zwischen behindert und nichtbehindert zu verwässern und aufzuheben.
Der Titel der Ausstellung ist vieldeutig: Assoziationen an Schubladendenken und abgestempelt sein kommen auf oder geht es um Behördenstempel, die manchmal lebenswichtig sein können? Zu den Fototypografien, die wir hier zeigen, kam es ursprünglich, weil wir im Kurs in einer Schublade alte Stempelkissen fanden und alle plötzlich losstempelten, verrät Irmi Tubbesing, die die Gruppe mit Paul Hartjens leitet.
Viele dachten anfangs, uns geht es darum, Behinderten das Fotografieren beizubringen. So arbeiten wir aber nicht, erklärt Grafik-Designer Hartjens. Er wirkte 1980 als Student an einem Fotoprojekt der VHS Detmold mit und hielt den Alltag behinderter Menschen im Bild fest. Die Behinderten sagten hinterher: Jetzt wollen wir aber selbst fotografieren, erinnert sich Hartjens. Die Idee zu der integrativen Fotogruppe war geboren. Sie ist heute als gemeinnütziger Verein zur Förderung von Inklusion und Akzeptanz anerkannt und besteht in Kooperation mit der VHS Detmold und der Lebenshilfe Detmold.
Das Besondere an den Fotos: Niemand versucht, seine Auffälligkeiten zu übertünchen, ganz im Gegenteil, so Paul Hartjens. Wir haben es lieber schräg als nett je schräger, desto besser. Die Zusammensetzung der Gruppe mit Behinderten und Nichtbehinderten beflügelt den kreativen Prozess: Man traut sich mehr, findet Irmi Tubbesing. Die Barrieren im Kopf lassen sich viel leichter einreißen.
Wir sind Grenzgänger, wollen die Konventionen, die mit Behinderungen einhergehen, infrage stellen, erklärt Hartjens. Und wir nutzen die Fotografie als Medium, um Spaß und Freude zu haben, Gedanken und Gefühle auszudrücken, ergänzt Tubbesing. Viele Teilnehmende, die in den 1980ern zu der Gruppe stießen, sind heute noch dabei; die älteste Teilnehmerin ist 81 Jahre alt. Schon zahlreiche Ausstellungen hat die Gruppe über die Jahre organisiert, jetzt ist sie zum ersten Mal in Oldenburg zu Gast.
Die Ausstellung Schublade auf Stempel drauf ist bis zum 27. Juli im Bürgerbüro Oldenburg Mitte, Pferdemarkt 14, zu sehen. Öffnungszeiten: montags bis donnerstags von 8 bis 15.30 Uhr und freitags von 9 bis 12 Uhr. Veranstalter ist die Akademie der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg in Kooperation mit der Fachstelle Inklusion der Stadt Oldenburg.
Die Ausstellung Schublade auf Stempel drauf gehört zur Veranstaltungsreihe Ausgeschlossen der Akademie der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg, Haareneschstraße 60, 26121 Oldenburg. Weitere Infos gibt es unter www.akademie-oldenburg.de und unter der Rufnummer 0441 / 7701 431.
Ein Beitrag von Antje Wilken.