Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2. Timotheus 1,7)
Liebe Schwestern und Brüder,
Menschen für den christlichen Glauben und die christliche Gemeinde wollte er gewinnen, der junge Mann mit Namen Timotheus. Doch er hatte sich das wohl zu einfach vorgestellt. Nur wenige wollten seine Botschaft, die meisten wandten sich ab. Timotheus litt am Misserfolg seines Werbens für den christlichen Glauben, Selbstzweifel stellten sich ein. Und andere, die mit anderen Worten und Lehren um Aufmerksamkeit warben, hatten mehr Erfolg als er selbst, auch unter den wenigen Gliedern der christlichen Gemeinde. Keine Frage: Timotheus hatte Zuspruch und Trost, Hoffnung und Unterstützung bitter nötig. In diese Situation hinein schreibt ihm der Autor des 1. Timotheusbriefes, der sich als der Apostel Paulus ausgibt, einen Brief, dem die oben genannten bekannten Worte entstammen: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Nun dürfte der 1. Timotheusbrief, nach allem, was wir wissen, in der ersten Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts entstanden sein. Schon allein das verbietet es, einen Vers dort herauszugreifen und ihn als einfach und direkt umzusetzende Richtschnur für unser Glauben und Handeln in der gegenwärtigen Zeit zu nehmen. Dazu kommt derzeit die unvergleichlich globale Bedrohung durch die Corona-Pandemie, der wir alle uns zu stellen haben. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit – kann diese Botschaft auch heute ein rechtes Wort zur rechten Zeit sein? Dazu vier kurze geistliche Impulse.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht.
Nein, Verzagtheit kommt nicht von Gott, und Furcht ist auch nicht in der Liebe (vg. 1. Johannes 4,18). Die Furcht findet keine neuen Wege und Mittel, mit Herausforderungen umzugehen. Sie kommt aus uns selbst und engt uns ein. ‚Fürchte Dich nicht!‘ – vielleicht ist das der christliche Satz schlechthin? Fürchte Dich nicht und versuch bei allem, was auf Dich eindringt, dein Vertrauen in Gott zu setzen? Den Geist der Furcht hat uns Gott nicht gegeben. Das heißt aber auch nicht, dass wir deshalb sorglos handeln dürfen. Nein, Gott hat uns Anderes und Wichtigeres geschenkt.
Gott gibt den Geist der Kraft.
Dieser Kraft brauchen wir, um Schädliches zu vermeiden und Gutes zu erkennen. Wir brauchen gerade jetzt die Kraft, uns für Schwächere in der Gemeinschaft einzusetzen, anstatt nur egoistisch Toilettenpapier zu horten und das Nudelregal beim Discounter leer zu kaufen. Meine ältere Tochter, die in Spanien lebt, berichtet, dass dort v. a. Fleisch und Schinken in rauen Mengen gekauft werden. Hier Nudeln, dort Fleisch – sollte das nicht schon genug darauf hindeuten, wie kurzsichtig und wenig durchdacht solches egoistisches Handeln ist? Der Geist der Kraft sprengt die Furcht und befreit so zu verantwortlichem Handeln, auch im Alltag in Supermarkt oder Apotheke.
Gott gibt den Geist der Liebe.
Geist der Liebe, wem würde dabei nicht das ‚Hohelied der Liebe‘ des Apostels Paulus im 1. Korintherbrief einfallen? Nicht um rosarote Gefühlswelten geht es bei diesem Geist der Liebe. Nein, die Liebe denkt zugewandt und positiv, sie will dem anderen nicht schaden, sondern nützen. Sie will beitragen zu einem offenen und vertrauensvollem Miteinander. Wie kann ich denn vielleicht meine Nachbarn praktisch unterstützen? Wo bin ich gefordert, wem kann ich helfen oder beistehen und wen kann ich unterstützen? Wie kann ich andere Menschen trösten in ihren Sorgen? Wie kann ich selbst zu dem Menschen werden, den ich in schwierigen Zeiten selbst gern um mich hätte?
Gott gibt den Geist der Besonnenheit.
Besonnenheit, eine alte Kardinaltugend und Grundeinstellung, der es um das rechte Maß geht. Und so sollen wir, bei aller gesundheitlichen Bedrohung durch das Corona-Virus, trotzdem nicht in Panik geraten. Panik ist nie ein guter Ratgeber. Rät einem denn nicht schon der gesunde Menschenverstand, den Ratschlägen und Hinweisen aus berufenem Munde zu folgen? Wer in schwierigen Zeiten umsichtig, abwägend und klug handelt, der handelt besonnen. Rücksichtloser Einsatz für die eigenen Interessen und Belange haben hier keinen Platz. Gewissermaßen hält der Geist der Besonnenheit auch ein Plädoyer dafür, Abstand zu halten, und zwar im doppelten Sinn. Einmal direkt, im Kontakt mit meinen Kollegen oder Freunden. Gerade weil ich diese liebe oder achte, sollte ich Ihnen im Moment nicht zu nahe kommen. Und zum anderen, in dem ich mich nicht von allen Sorgen um Gesundheit und Zukunft völlig vereinnahmen lasse und so im übertragenen Sinn ‚Abstand‘ gewinne von der Herausforderung durch die Pandemie.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit
Timotheus brauchte damals Unterstützung und Zuspruch. In ganz anderer Weise sind wir heute auf beides angewiesen. Die Christenheit hat diese Worte rund zweitausend Jahre überliefert und immer wieder neu gesprochen, weil sie die Erfahrung gemacht hat, dass sie wirken. Warum sollten wir ihnen also nicht vertrauen, allem Augenschein der Welt zum Trotz? Gott schenkt uns seinen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Er will und wird auch in Zeiten großer Herausforderungen und Ängste wirken. Wir können unsere Furcht besiegen und gemeinsam gegen Angst und Krankheit aufstehen. Und so können wir dann auch in diesen Zeiten unseren Glauben leben und zu ihm stehen. Amen.
Der Text der Andacht ist von Pfarrer Olaf Grobleben.
Weise uns den Weg Gott, geh mit!
Weise uns den Weg Gott, geh mit! Begleite du uns, Gott, Schritt für Schritt.
Wo wir stolpern, straucheln, zagen, wo uns Angst lähmt, zu versagen: Weise uns den Weg, Gott, geh mit.
Weise uns den Weg Gott, geh mit! Behüte du uns, Gott, Schritt für Schritt.
Wo wir zweifeln, hadern, ringen, wo wir nichts zustande bringen. Weise uns den Weg, Gott, geh mit.
Weise uns den Weg Gott, geh mit! Sprich du uns Mut zu, Gott, Schritt für Schritt.
Lass in deinem Licht uns gehen, lass uns deine Spur klar sehen. Weise uns den Weg, Gott, geh mit.
Aus: frei Töne, Liederbuch zum Reformationssommer 2017, Text: Eugen Eckert 2015. Musik: Gerd-Peter Münden 2015. © Strube Verlag, München