Hannover (epd). Niedersachsens Flüchtlingsrat hat Forderungen führender Politiker von CDU/CSU und FDP widersprochen, wegen eines angeblichen «nationalen Notstands» bis auf weiteres keine Asylsuchenden mehr nach Deutschland einreisen zu lassen. «Nicht die Kontrolle über das Asylgeschehen ist verloren gegangen, sondern die Debatte darüber ist völlig außer Kontrolle, weil besonnene und mäßigende Stimmen fehlen», heißt in einem vom Flüchtlingsrat am Donnerstag veröffentlichten Papier. Leider setzten auch die Parteispitzen von SPD und Grünen dem «Notstandsgerede» bislang nichts Substanzielles entgegen und suchten den Schulterschluss mit der Opposition. Von dieser Entwicklung profitiere vor allem die AFD, die nicht zu Unrecht für sich reklamiere, die Tonlage vorgegeben zu haben.
Im «Gesamtgeschehen» Migration macht die Aufnahme von Schutzsuchenden über das Asylrecht dem Flüchtlingsrat zufolge nur einen kleinen Teil aus. So seien 2023 mit 329.000 Asylerstanträgen nur rund 17 Prozent aller Zuwanderungen auf Asyl entfallen. 2022 seien 218.000 Asylerstanträge gestellt worden, ein Anteil von acht Prozent an der Gesamtzuwanderung des Jahres. Auch in den Jahren davor habe sich der Anteil der Asylsuchenden an der Gesamtzuwanderung in dieser Größenordnung bewegt. 2024 seien bis zur Jahresmitte gerade mal 120.000 Asylerstanträge registriert worden.
Im Umkehrschluss bedeute dies, dass zwischen 77 Prozent und 92 Prozent aller Zugewanderten in den vergangenen zehn Jahren keinen Asylantrag gestellt hätten, hieß es weiter: «Für die langfristigen Versäumnisse im Bildungsbereich und beim sozialen Wohnungsbau sind Asylsuchende weder verantwortlich, noch lassen sich die Probleme auf ihrem Rücken lösen.» Dennoch werde eine «Lösung» allein beim Thema Asyl verortet.
Die Zuspitzung der Diskussion auf Fragen der Asylgewährung sei sachlich unbegründet: Auch andere Zuwanderungsgruppen benötigten Wohnraum, Schul- und Kindergartenplätze. Die Ausrufung eines «nationalen Notstands» aufgrund des aktuellen Asylgeschehens sei offenkundig nicht gerechtfertigt und drücke eher den Unwillen als das Unvermögen der beteiligten Politiker aus, für menschenwürdige Aufnahmebedingungen zu sorgen.