„Wie kann ich meine Familie nachholen?“ Diese Frage treibt viele Geflüchtete, die jetzt im Ammerland wohnen um. Bernd Tobiassen, Flüchtlingssozialarbeiter beim Deutschen Roten Kreuz und Ausländerbeauftragter des Landkreises Aurich, informierte dazu auf einem Fortbildungsabend im Haus Feldhus in Bad Zwischenahn. Vierzig Ehrenamtliche aus allen Gemeinden des Landkreises Ammerland ließen sich auf der Veranstaltung des Kirchenkreises Ammerland, der Diakonie und des Evangelischen Bildungswerkes informieren.
„Rechtlich ist alles eindeutig und einfach geregelt, aber manche deutschen Behörden haben großen Widerwillen, dieses einfache Verwaltungsrecht auch umzusetzen.“ Dieser Satz des Referenten prägte den Vortrag des Abends, bei dem es zunächst darum ging, die rechtlichen Regelungen zu verstehen.
Familie im Sinne des Aufenthaltsgesetzes, das den Familiennachzug regelt, sind Ehegatten und Kinder bzw. bei allein reisenden Kindern deren Eltern. Onkel und Tanten, Großeltern und andere Verwandte fallen nicht unter diese Regelung. „Wir reden also nur über die Zusammenführung der Kernfamilien – und damit über sehr begrenzte Zahlen von Menschen.“ so Bernd Tobiassen. Diese Kernfamilien würden unter den besonderen Schutz des Artikels 6 des Grundgesetzes fallen.
Der Familiennachzug sei innerhalb von drei Monaten nach der Anerkennung als Flüchtling zu beantragen. Der Antrag könne bei der Ausländerbehörde oder bei der deutschen Botschaft in dem Land gestellt werden, in dem die Familie sich aufhält. Die Botschaft sei dann für die Organisation der Familienzusammenführung zuständig. „Und an dieser Stelle klemmt es an allen Ecken und Enden.“ weiß Bernd Tobiassen zu berichten.
In den Fluchtländern sei dann zunächst ein Termin für die Bearbeitung des Antrages zu beantragen. Es würde manchmal schon Monate dauern, überhaupt den Termin beantragen zu können. „Entfernungsmäßig müssen Sie sich das in manchen Fällen so vorstellen, dass Sie von Zwischenahn nach Mailand reisen müssen, um persönlich einen Termin zu vereinbaren. Dann sollen Sie Monate später noch einmal wiederkommen, um dann günstigstenfalls die nötigen Reisepapiere zu erhalten.“ Syrische Familienangehörige, für die die deutsche Botschaft im libanesischen Beirut zuständig ist, bekämen zur Zeit Termine für Juni 2017 und müssten damit mehr als ein Jahr auf die Antragsbearbeitung warten.
Diese Wartezeit würde sich besonders bei Jugendlichen auswirken, die im Laufe des Verfahrens 18 Jahre alt werden. „Volljährige sind keine Kinder im Sinne des Aufenthaltsgesetzes mehr und haben keinen Anspruch auf Nachzug der Eltern.“ Hier werde das Verfahren einfach eingestellt und die volljährigen Jugendlichen seien dann weiter auf sich allein gestellt.
Völlig unverständlich sei für ihn, so der Referent am Schluss des Abends, dass insbesondere die Union mit dem Asylpaket II den Familiennachzug für bestimmte Gruppen ausgesetzt habe. Plötzliche solle das christliche Familienverständnis und das Grundgesetz nicht mehr gelten. „Wie kann man einem syrischen Kind, das die Kriegs- und Fluchtwirren allein nach Deutschland verschlagen hat, für zwei Jahre das Wiedersehen mit den Eltern verwehren?“
Am 20. Mai 2016 folgt der nächste Fortbildungsabend für Ehrenamtliche in der Arbeit mit Geflüchteten. Nawras Kadro, Journalist aus Syrien, wird über die aktuelle Situation in Syrien berichten.
Peter Tobiassen