Im Rahmen des friedensethischen Konsultationsprozesses der Ev.-luth. Kirche in Oldenburg hatte diese zusammen mit der Ev. Erwachsenenbildung Niedersachsen zu einer Veranstaltung in die Wesermarsch eingeladen. Im Gemeindehaus der Kirchengemeinde Rodenkirchen referierte der aus der Nähe von Verden stammende Europaabgeordnete von Bündnis 90/die Grünen Sven Giegold über „Faire Handelsbeziehungen für mehr Gerechtigkeit.“
Nach der Begrüßung durch Kreispfarrer Jens Möllmann zeichnete Giegold vor den etwa vierzig Zuhörern zunächst die großen Linien der Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen den Staaten nach. In einer ersten These stellte er fest, dass es internationalen Handel schon immer gegeben habe und dass dieser etwas Gutes ist. „Handel führt zu Kontakt und fördert den Austausch. Das ist etwas Gutes!“ Gerade für Europa habe der Handel nach dem Einbruch des 2. Weltkrieges viel Fortschritt gebracht. Nach der rasanten Steigerung des Handelsvolumens nach dem zweiten Weltkrieg sieht Giegold das Problem heute in den langen Wertschöpfungsketten, hinter denen oft große Konzerne stehen. Diese Ketten sind gegenüber den armen Ländern unfair gestaltet. Ein Teil der Ökonomen warnt zwar vor regulierenden Eingriffen in den Handel. Giegold, der auch Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages ist, hält jedoch das jahrzehntelange Engagement der Kirchen für eine Regulierung hin zu faireren Handelsbeziehungen weiter für dringend geboten. Biblische Grundaussage ist die Würde, die allen Menschen gleichermaßen innewohnt. Wenn jedoch aufgrund unfairer Handelsbeziehungen die Arbeit in armen Ländern deutlich weniger Wert ist als die in reichen, läuft dies der Bibel zuwider.
Aktuell handelt die EU mit einzelnen Staaten bilaterale Handelsverträge aus. Dabei geht es weniger um den Abbau von Zöllen als um die Angleichung von Standards. Bilaterale Handelsverträge benachteiligen tendenziell die ärmeren Länder, die in multilateralen Foren wie der Welthandelsorganisation WTO gemeinsam und stärker gegen die großen Wirtschaftsnationen auftreten könnten. Giegold beklagt zudem, dass die Aussagen zu Nachhaltigkeit, Frieden und sozialer Gerechtigkeit in diesen Verträgen im Unterschied zu anderen Vertragsinhalten nicht einklagbar sind.
Abschließend ermutigte der finanz- und wirschaftspolitische Sprecher der Grünen die Kirchen, ihre Stimme in Brüssel deutlicher zu erheben. 90 Prozent der Lobbytermine werden von Wirtschaftsverbänden wahrgenommen, von Kirchen und anderen Organisationen nur 10 Prozent. Sobald die Kirchen ethisch und theologisch sorgfältig begründete Stellungnahmen einbringen, stoßen sie, so Giegold, bei allen demokratischen Parteien auf offene Ohren.
In der anschließenden Diskussion geht es u.a. um konkrete Schritte zur Veränderung. Giegold beklagt, dass eine Mehrheit der Bürger grundsätzlich für ein gerechteres Wirtschaften ist, beim Einkauf jedoch in der Regel nach dem Preis entscheidet. Die Prioritäten, die jeder mit seinem Einkaufswagen setzt, sind wichtig. Für eine gerechtere und nachhaltigere Wirtschaft braucht es darüber hinaus jedoch Rahmenbedingungen, die politisch anders gesetzt werden müssen. Diese erfordern aber entsprechende Wahlentscheidungen der Bürger.
Abschließend ermutigt Giegold die Zuhörer bei allen grundsätzlichen Überlegungen jetzt schon das zu tun, was getan werden muss. Das Christsein hat eine politische Dimension, da Gottes Auftrag an die Menschen nicht vor der Politik halt mache. Die Gemeinden ermutigt Giegold, Politiker der demokratischen Parteien regelmäßig zu Diskussionen einzuladen und bei diesen Gelegenheiten die christlichen Erwartungen an die Politik deutlich zu machen.
Dietmar Reumann-Claßen