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Krankenschwestern, Psychologen, Freizeitbetreuer - Schulen könnten künftig noch ganz anderes Personal brauchen als Lehrer. Und sie müssen sich mehr um benachteiligte Jugendliche kümmern. «Wir brauchen eine neue Schule», fordern Experten.

Lüneburg/Oldenburg (epd). Bildungsexperten und Kinderärzte haben mehr Hilfen für benachteiligte Kinder und Jugendliche gefordert. Wenn Jugendliche weiter in größerer Zahl die Schule ohne arbeitsmarktfähige Abschlüsse verlassen, «dann stimmt etwas nicht mit dem Bildungssystem», sagte der Präsident des Berufsverbandes der
Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, am Donnerstag bei der Vorstellung eines neuen Konzepts der Initiative «Deutsches Kinderbulletin» in Berlin. Der Initiative gehören unter anderem Mediziner und Pädagogen an.

Rund ein Fünftel der Kinder in Deutschland wachse ohne ausreichende Förderung in Familie und Schule auf und habe dadurch deutlich schlechtere Chancen im Leben, hieß es. Deshalb müssten im Bildungssystem neue Schwerpunkte gesetzt werden, die die individuelle Entwicklung von Kompetenzen und Leistungen, aber auch die Gesundheit in den Mittelpunkt stellten. Ob alle Kinder von schulischer Bildung profitieren können, sei zu einer «Zukunftsfrage für das Land» geworden.

Immer mehr Kinder hätten mit Lernschwierigkeiten, Bewegungsproblemen, Sprachmängeln und anderem zu kämpfen, weil sie in ihren Familien nicht genug Anregung fänden, hieß es. An den Grundschulen klagten Lehrer zugleich zunehmend über ein auffälliges, extremes Sozialverhalten von Schülern, das sie nicht mehr bewältigten. Für diese Kinder sei eine außerhäusliche Förderung extrem wichtig, damit sie nicht Verlierer der Gesellschaft blieben.

Der Sonderpädagoge Heinrich Ricking von der Universität Oldenburg sagte, wenn Schulen jedoch fast nur auf Wissensvermittlung und Leistung ausgerichtet seien und benachteiligten Kindern kaum Erfolge ermöglichten, könnten sie auch für die Zeit danach zum «Katalysator des Misserfolgs» werden. Schulen sollten deshalb neue Wege gehen, stärker auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen und auch «nicht nur Lehrer einstellen».

Der Wissenschaftler und Schulpsychologe Peter Paulus von der Leuphana-Universität in Lüneburg forderte, dass die Schulen wesentlich umfassender werden müssten: «Schule wird in Zukunft so etwas werden wie ein Jugendzentrum.» Die bisherigen Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche müssten zum sozialen Anker der Kommunen werden, ganzjährig öffnen und abends auch Eltern oder Senioren für Veranstaltungen offenstehen.

Mit einem neuen, ganzheitlichen Bildungsmodell, das die Interessen und Fähigkeiten der Kinder in den Mittelpunkt stellt, seien nicht nur höhere Kosten, sondern auch Einsparungen an anderer Stelle zu erwarten, hieß es. Denn die Folgekosten einer unzureichenden Bildungs- und Sozialpolitik sänken dann, betonte Paulus. Damit könne sich der Staat am Ende «das eine oder andere Jugendgefängnis sparen».