Es ist beklemmend ruhig in der Kirche. Das Erinnern fällt nicht leicht. Und die Erkenntnis, dass sich bis zum heutigen Tag nicht nur wenig, sondern gar nichts verändert hat, ist umso schmerzlicher. So scheint es zumindest angesichts der aktuellen Geschehnisse in der Welt zu sein. Gleichwohl setzte Bischof Jan Janssen auf die Hoffnung, die Kinder mögen aus dem Erinnern lernen als er am Mittwochabend in der Christus- und Garnisonkirche in Wilhelmshaven zum Auftakt der Reihe Erinnern und Mahnen unter dem Thema Gott mit uns Kriegspredigten zum 1. Weltkrieg kritisch hinterfragte.
Die oldenburgische Kirche hat aufgrund der besonderen Geschichte die Christus- und Garnisonkirche als Hauptort für die Veranstaltungen zum Erinnern und Gedenken an den 1. Weltkrieg ausgewählt. Zeitnah zur Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli und zur Mobilmachung (auch in Deutschland) am 1. August fand jetzt der erste Vortrag statt, in dem Bischof Janssen sich nicht nur mit der Zeitgeschichte und der Rolle der evangelischen Kirche im ersten Weltkrieg auseinandersetzte, sondern auch einen Teil seiner persönlichen Geschichte aufarbeitete.
Er stelle das alles an diesem Ort und mit diesen Zeitzeugnissen vor, um 100 Jahre nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges zu bekennen, was Menschen, die für die evangelische Kirche Verantwortung trugen, versäumt haben, was sie angerichtet haben und wie sie beitrugen zum Geschehen dieses Weltbrandes, so der Bischof. Er sprach mehrfach von einem beschämenden Kapitel für die Kirche. Die Schuld bekennen wir vor Gott, halten inne, sehen ihr ins Auge, hören ihre Aussagen, setzen uns diesem Irrsinn aus um wieder und wieder zu lernen, dass aus dem Erinnern ein Mahnen und aus dem Mahnen ein Umkehren werden muss, sagte Bischof Janssen in der sehr gut besuchten Kirche. Die Menschen verfolgten den Vortrag überaus konzentriert und berührt.
Bischof Janssen berichtete von der Mobilmachung, bei der Kaiser Wilhelm II. in die Kirchen rief, um dort die Waffen zu segnen. Den Erlass im Gottesdienst zu verlesen sei völlig normal gewesen, es habe nirgendwo nennenswerte Proteste gegeben und die Segnung der Waffen habe nicht im Mindesten irritierend gewirkt. Die Friedensstimme sei in der Kirche kaum vernehmbar gewesen.
Ausführlich ging Bischof Janssen auf ein Beispiel ein, Pfarrer Wilhelm Eisenberg aus Braunschweig, der als Landsturmpastor und als Divisionspfarrer zu Kriegsbeginn tätig war bevor er mit nur 41 Jahren im Jahr 1918 im Krieg verstarb. Eisenberg war der Urgroßvater Jan Janssens und so wie er selber könnten wohl unzählige Familien aus unmittelbarer Betroffenheit vom ersten Weltkrieg erzählen, sagte Janssen und verschwieg nicht, dass es belastend sein kann, nicht mehr nachfragen zu können, weil die Angehörigen bereits verstorben sind.
Etliche Kriegspredigten hatte Eisenberg verfasst, aus denen Janssen zitierte und die in ihrem sichtbaren, lesbaren nachweisbaren Irrsinn Erinnerung und Mahnung sein sowie Anstiftung zur Umkehr werden könnten. Vielfach wurde deutlich, wie Gott und der Glaube instrumentalisiert wurden, um den Krieg zu rechtfertigen und die Euphorie dabei zu sein anzuheizen. Gott mit uns die drei Worte sind in allen Nationen und Religionen als Schlachtruf missbraucht worden, erklärte Janssen. Die Identifizierung Gottes mit den Eigeninteressen und Kriegszielen reiche von den Römern bis in die Neuzeit.
Die Dimension des Grauens macht nach wie vor sprachlos, sagte Bischof Janssen und das war auch in der Kirche deutlich zu spüren. Er rief auf, am Freitag, 1. August, am Tag der Mobilmachung vor 100 Jahren, um 12 Uhr eine Schweigeminute einzulegen und sich damit an einer europaweiten Aktion zu beteiligen.
Annette Kellin
Hinweis:
Das weitere Veranstaltungsprogramm der Reihe Erinnern und Mahnen finden Sie auf der Homepage der Christus- und Garnisonkirche unter www.christusnews.de.