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Und wieder sollte es eine Demo in Stuttgart geben. Eine entsprechende Anmeldung der Veranstaltung lag der Stadt bereits vor. Geplant war sie für den 17. April. Dabei habe ich noch genau die Bilder der Landeshauptstadt an Karsamstag vor Augen. Rund 15.000 Menschen gingen vor zwei Wochen größtenteils ohne Masken und Mindestabstand im Namen der Initiative „Es reicht uns“ auf die Straße. 1.000 Polizisten waren im Einsatz. Und 14 Tage später sollte es sich wiederholen? Wenn ich diese Bilder in den Nachrichten sehe, merke ich, wie die Wut in mir steigt. 

   

Wut über so viel Ignoranz und Unverständnis. Wut darüber, dass dieses Verhalten alle bisherigen Maßnahmen von so vielen Bürger:innen torpediert. Warum hat sich beinahe jede:r von uns in den letzten Monaten zurückgenommen? Sollen diese Bemühungen nun umsonst sein? Droht nun wieder ein „harter“ Lockdown? Was geht in diesen Menschen vor, die zu Tausenden auf die Straße gehen?

   

Luther stand vor genau 500 Jahren, am 18. April 1521, auf dem Wormser Reichstag vor dem Kaiser und vielen wichtigen Kirchenvertreter:innen. Er sollte seine revolutionären Gedanken widerrufen. Aber wie wir alle wissen tat Luther es nicht.

   

Das war ein historischer Moment, der die Kirche und die Gesellschaft veränderte. Und ich frage mich, gibt es heute noch diese Momente? Glauben die 15.000 Menschen auf den Stuttgarter Straßen, dass ihre Gedanken und Parolen die Gesellschaft verändern und historisch wichtig sind? 

   

Und doch weiß ich, dass es nicht richtig wäre, all diese Demonstrant:innen über einen Kamm zu scheren. Es sind nicht unbedingt alles Rechtsradikale, Querdenker:innen oder Demokratieverweigerer:innen, es sind vor allem auch viele verzweifelte Bürger:innen, die in ihrer Existenz bedroht und die körperlich und geistig durch die letzten Pandemiemonate im Homeoffice und Homescooling an ihre Grenzen gestoßen sind.

   

Vielleicht wollen einige Demonstranten:innen nicht ihre Wut und ihr Unverständnis über Regierungsentscheidungen zum Ausdruck bringen, sondern ihre verzweifelte Suche nach Orientierung? 

   

Und so nehmen wir diesen Gedanken der Orientierung mit und legen ihn über den Wochenspruch bei Johannes 10,27-28. Dort steht: Christus spricht „Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen das ewige Leben.“

   

Im Zentrum dieses zweiten Sonntags nach Ostern steht Jesus als der „gute Hirte“. Dieses Urbild des Schäfers spricht mich immer wieder an. Und nicht umsonst ist der Wochenpsalm, Psalm 23, einer der Bekanntesten.

   

Jesus, als der gute Hirte gibt die Verlorenen nicht auf, denn jede:r Einzelne zählt. Für jede:n Einzelne:n ließ er sein Leben. Gleichzeitig warnt die Bibel aber auch vor schlechten Hirten. Die vor allem auf ihr eigenes Wohl bedacht sind, Schwache nicht stärken und bei Gefahr eher die Flucht suchen.

   

Es liegt daher an uns, sich an das Gute zu halten und nach dem Beispiel Jesus selbst auf die Schwachen und Orientierungslosen in unserer Gesellschaft zu achten. Diese Pandemie kann nur überwunden werden, wenn wir sie gesellschaftlich und global gemeinsam angehen. Gemeinsam zu handeln bedeutet in diesem Falle nicht, wie zu Anfang beschrieben mit Tausenden von Menschen ohne Abstand und Maske auf die Straße zu gehen. 

   

Die nächste Demo in Stuttgart wurde mittlerweile auch auf Drängen des Landessozialministeriums verboten. Und so hoffe ich und bete ich, dass solche Protestaktionen bei uns nicht mehr so häufig stattfinden. Sie schaden uns allen. Wir brauchen jedoch ein starkes Miteinander. Nicht umsonst sprechen Virologen und Politiker:innen von dem Ziel der Herdenimmunität. So lasst uns im Geiste Christi eine starke Herde sein, die aufeinander achtgibt und keinen zurücklässt.

 

Amen.

   

Farina Hubl

 

Kommissarische Leiterin des Landesjugendpfarramtes der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg

 

Schafherde auf einem Elbdeich. Foto: periFair