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Überschriften auf den Titelseiten großer Zeitungen wie „Jungen sind die Bildungsverlierer der Nation“ haben die pädagogischen Fachleute in Oldenburg auf den Plan gerufen: Zwei Jahre lang haben die Evangelische und die Katholische Erwachsenenbildung (EEB, KEB), die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie Grundschulen und Kindergärten theoretische und praktische Modelle entwickelt, die Jungen mit ihren Bedürfnissen gezielt ansprechen sollen. „Parole Emil“ heißt das Projekt, dessen Ergebnisse jetzt vorgestellt wurden.

Beteiligt hatten sich fünf Kindertagesstätten – Villa Kunterbunt, Harreweg, Jona, Hoikenweg und Birkhuhnweg – und die Grundschulen Bümmerstede und Krusenbusch. „Die Einrichtungen waren durch das Projekt ‚Ein Stadtteil für starke Kinder’ schon vorher gut vernetzt und so lag es nahe, auch ‚Parole Emil’ hier anzusiedeln“, erklärt Ursula Schirakowski von der KEB. „Parole Emil“ beinhaltete nicht nur Fortbildungen für die teilnehmenden Fachkräfte, sondern auch Projekte, die in den Einrichtungen umgesetzt und von der Uni wissenschaftlich begleitet wurden, wie etwa der Mädchen- und Jungentag, an dem die Kinder nach Geschlechtern getrennt spielten, oder der Vorleseclub, in dem Väter und Großväter Jungen in der Kita Geschichten vorlesen. „Erstaunlicherweise war es überhaupt nicht schwierig, Männer dafür zu gewinnen“, resümiert EEB-Leiterin Barbara Heinzerling.

„Wir haben gelernt, uns mehr zurückzuhalten, wenn die Jungen toben und rangeln. Das war nicht gleich einfach“, so Heinzerling. „Aber wir haben gesehen: Wenn die Jungen sich austoben können, fühlen sie sich wohl.“

„Jungs werden nicht zu Jungs erzogen, sie verhalten sich von Natur aus so, wie sie es eben tun“, sagt Cordula Seeber, Leiterin der Grundschule Krusenbusch. Sich das nicht nur bewusst zu machen, sondern vor allem im Alltag entsprechend zu handeln, sei für sie wie für jede Pädagogin und jeden Pädagogen wichtig, denn es verändere Handlungsweisen: „Ich überlege zum Beispiel genauer, wie schnell ich Jungs beim Toben oder Kräftemessen zurückpfeife.“ Ihre Erkenntnisse hat sie wie alle Schulungsteilnehmenden in das jeweilige Kollegium eingebracht.

Es sei auch darum gegangen, die eigene Haltung den Jungen gegenüber zu überprüfen und zu erkennen, wann man selbst eingrenzend und normativ wirke, in Verhaltensmuster abgleite, so Dr. Udo Gerheim vom Institut für Pädagogik der Universität Oldenburg. „Der Ansatz war, ohne Angst anders sein zu können – jeden Jungen, jedes Mädchen mit seinen Bedürfnissen zu erkennen. Denn auch innerhalb eines Geschlechts gibt es grundlegende Unterschiede in den Bedürfnissen.“

Der Wissenschaftler Dr. Udo Gerheim hatte zusammen mit Barbara Heinzerling, Ursula Schirakowski und Professorin Anke Spieß (Pädagogik-Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) das pädagogische Konzept für dieses Projekt entwickelt: „Alle Pädagoginnen und Pädagogen zeigen eine neue empirische Offenheit in Bezug auf jungenspezifische Fragestellungen sowie eine hohe Bereitschaft, das Verhalten von Jungen künftig deutend verstehen zu wollen – anstatt normativ-regulierend zu agieren.“

In den Köpfen, aber auch im Alltag brachte das Projekt einiges in Bewegung. Gibt es Alternativen zum Basteln, um die Feinmotorik zu schulen?, fragte sich beispielsweise das Team der Kita Birkhuhnweg und entwickelte die ‚Auseinandernehmwerkstatt’. Hier können Jungen – und natürlich auch interessierte Mädchen – jetzt nach Herzenslust mit Schraubenziehern und anderen Kleinwerkzeugen alten Elektrogeräten auf den Grund gehen. Viele der Pädagoginnen und Pädagogen hätten ein anderes Bewusstsein den Geschlechtern gegenüber entwickelt, sagt KEB-Leiterin Ursula Schirakowski. „Und auch bei jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dem Projekt eher kritisch gegenüberstanden, ist das Interesse im Laufe der Zeit gewachsen.“ Man müsse, so ihr Fazit, die Kinderpädagogik nicht neu erfinden, aber geschlechterspezifische Aspekte stärker einfließen lassen.

Nicht nur für die Jungen, auch für die Fachleute in den Kitas und Grundschulen habe das Projekt viel gebracht, sind sich die Beteiligten einig. Sie seien sicherer im Umgang mit den Eltern, was jungenspezifische Fragen angehe, entspannter bei Konflikten und kleinen Kämpfen, aber auch vorurteilsloser, wenn die Jungen sich nicht 'männlich' benehmen. „Parole Emil“ war auf zwei Jahre befristet, war aber auf Nachhaltigkeit angelegt und schlägt sich in weiteren Fortbildungsangeboten nieder. Der speziell entwickelte Kursus „Parole Emil – Jungs im Fokus“ wird 2013 von der KEB und EEB als Seminar zu festen Terminen, auf Anfrage aber auch als individuell buchbare Fortbildung angeboten. Er ist Fachkräften aus ganz Niedersachsen zugänglich.


Zu vorläufigen Abschluß des Projektes ist eine 24-seitigen Projekt-Dokumentation erschienen, die als PDF zum <media 14139>Download</media> zur Verfügung steht. Dennoch soll „Parole Emil“ fortwirken, kündigte Barbara Heinzerling an. Die Evangelische und die Katholische Erwachsenenbildung werden im März kommenden Jahres einen weiteren Zertifikatskurs anbieten. „Das Projekt Emil zeigt konkrete Handlungsmöglichkeiten auf“, so Professor Detlef Pech von der Humboldt-Universität Berlin, „und fällt damit unter den aktuellen jungenpädagogischen Angeboten positiv auf.“

 

Ein Beitrag von Anke Brockmeyer.

 

Mehr Informationen finden Sie unter: www.eeb-niedersachsen.de/oldenburg/Old_akt_emil.htm

 

 

 

Bei „Parole Emil“ ging es um Hilfestellung im Umgang mit Jungs. Foto: Anke Brockmeyer
Szene aus dem Praxisprojekt Bücherkiste.
Barbara Heinzerling von der Evangelischen Erwachsenenbildung.
Ursula Schirakowski von der Katholischen Erwachsenenbildung.
Dr. Udo Gerheim vom Pädagogik-Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.