Zum Hauptinhalt springen

Im Klingelbeutel liegen Spenden und kleine mit Kennzahlen versehene Tüten mit den Mitgliedsbeiträgen. Die deutschsprachigen Evangelischen Kirchengemeinden in England, Schottland und Wales erheben eigene Kirchenmitgliedsbeiträge, erläutert der 49-Jährige. „Wir erbeten 1,5 Prozent des verfügbaren Einkommens.“ Damit sind die Kirchengemeinden relativ eigenständig geworden, nachdem die Unterstützung von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bereits vor einigen Jahren deutlich herunter gefahren wurde. Die EKD zahlt kaum mehr als die Ruhestandsbezüge für die Auslandspfarrerinnen und -pfarrer. „Das hat zu einer weiteren Eigenständigkeit der deutschsprachigen Gemeinden geführt und die Gemeinden haben ihr eigenes Auskommen“, erklärt Jochen Dallas.

 

Der gebürtige Vareler ist über acht Jahre Pfarrer der „Evangelisch-lutherischen Kirche deutscher Sprache in Ostengland“. Im Sommer kommenden Jahres wird er zusammen mit seiner Frau Stephanie und seinem zehnjährigen Sohn Christopher wieder nach Deutschland zurückkehren und sich dann auf eine Pfarrstelle in Deutschland bewerben. Im März vergangenen Jahres wurde Jochen Dallas als Senior der Evangelischen Synode Deutscher Sprache in Großbritannien gewählt und eingeführt und vertritt die Gemeinden in der Öffentlichkeit. Das Verhältnis zur anglikanischen Kirche sei reibungslos gut, so Dallas. „Oftmals werden wir als eine von ihnen angesehen. Wir feiern unsere Gottesdienste oft in deren Kirchen und zu bestimmten Anlässen feiern wir auch gemeinsam.“

Eine „fahrende Gemeinde“

Seine „Evangelisch-lutherische Kirche deutscher Sprache in Ostengland“ beschreibt Dallas als eine „fahrende Gemeinde“. Die meisten seiner Gemeindemitglieder müssen zu Gemeindeveranstaltungen und Gottesdienste lange Wege auf sich nehmen. In seinem Gemeindebezirk, der von Peterborough im Norden, im Süden fast kurz vor London das Gebiet von Ostengland umfasst, hat Dallas sieben Predigtstellen. In Essex, Bedford und Milton Keynes, Bury St. Edmunds, Ipswich und Norwich werden monatlich Gottesdienste gefeiert, in Cambridge alle zwei Wochen. Und so verwundert es nicht, wenn der Pastor für zwei Gottesdienste in  Norwich und Bury St. Edmunds mal eben 180 Meilen an einem Tag fahren muss. Bis auf die  beiden Gemeinden im Großraum London ist ein solch großes Gemeindegebiet typisch für die deutschsprachigen Gemeinden in Großbritannien, erklärt Dallas gelassen.

Denn die Gemeinden sind kleiner, das Einzugsgebiet größer geworden. Gab es in den 1970er Jahren noch 25 Pfarrstellen, so sind es heute nur noch sieben Pfarramtsbereiche mit insgesamt 28 Gemeinden. Die Gründergeneration der Gemeinden stirbt langsam aus.  Vor dem 2. Weltkrieg waren Menschen aus Deutschland, Österreich und dem Sudetenland vor dem Nazi-Regime nach Großbritannien geflüchtet. Dazu gehören auch die jüdischen Kinder, die 1938 über die Kindertransporte nach Großbritannien kamen, in Pflegefamilien oder in Flüchtlingslagern aufwuchsen und von denen einige irgendwann konvertierten, erläutert Dallas.  Nach dem 2. Weltkrieg blieben deutsche Kriegsgefangene im Lande und Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre kamen deutsche Frauen britischer Soldaten und weibliche Arbeitskräfte auf die britischen Inseln. Diese Einwanderung führte zur Bildung von vielen deutschsprachigen Gemeinden.

Die Sprache des Glaubens

„Am liebsten würde ich in die Rhön zurückkehren“, sagt Leni. Sie ist hoch betagt, aber bis auf eine alte Schulkameradin lebt in Deutschland dort keine Bezugsperson mehr. Leni hatte nach dem 2. Weltkrieg einen Angehörigen der Royal Air Force kennengelernt, ihn geheiratet und ist ihm von einem Luftwaffenstützpunkt zum nächsten gefolgt. Erst am Ende seines Berufslebens wurden sie in Ostengland sesshaft. Doch nun ist ihr Mann seit mehreren Jahren verstorben und die Einsamkeit ist da. Nach einem leichten Schlaganfall merkt sie, dass ihr Englisch nicht mehr so gut ist. „Das passiert häufiger“, sagt Hiltrud bei einer Gemeindeversammlung in Cambridge. „Besonders nach Schlaganfällen geht die erlernte Sprache verloren. Die Menschen reden nur noch Deutsch und wundern sich, dass keiner aus ihrer Umgebung sie mehr versteht.“ In solchen Fällen werde sie auch in Krankenhäuser gerufen, um zu übersetzen und den Betroffenen zu helfen. „Das mache dann auch die Stärke der Gemeinde aus, die Menschen aufzufangen und ihnen Heimat zu geben“, erzählt sie.
 
Zum generationsübergreifenden „familiären Umgang“ in der Gemeinde gehört mehr, als nur die Pflege der deutschen Sprache oder Kultur. Die tiefen Glaubenserfahrungen formuliert der Mensch in seiner Muttersprache. Es ist die Sprache des Herzens, in der man für sich singt, betet und seine spirituellen Wurzeln spürt. Darin sind sich die jüngeren und älteren Gemeindemitglieder einig. Und das wird immer wieder in den Gesprächen nach den Gottesdiensten oder bei Gesprächskreisen und Gemeindeversammlungen zum Thema. „Wenn Kinder da sind, wird es einem wichtig, nicht nur die Kultur, sondern auch den Glauben in der Sprache zu vermitteln, die einem selber als Sprache des Glaubens vertraut ist.“ erzählt Susanne, die seit einiger Zeit zusammen mit Claudia im Gemeindehaus von Cambridge eine Krabbelgruppe leitet. Auch der Konfirmandenunterricht, der in Privathäusern organisiert wird, findet aus den gleichen Beweggründen in Deutsch und Englisch statt, ergänzt Jochen Dallas.  

Rund 600 Gemeindemitglieder hat die Kirchengemeinde von Jochen Dallas in Cambridge. Das ist angesichts der Zahl von 18.000 Deutschen, die in Ostengland wohnen, eine recht hohe Zahl, und es ist erfreulich, dass neben den älteren Menschen immer wieder jüngere Menschen „nachziehen“, freut sich der Pastor. Besonders in Cambridge und Norwich mit ihren Colleges und Universitäten sind es Fachkräfte in Instituten oder Krankenhäusern oder Wissenschaftler mit zeitlich befristeten Forschungsaufträgen, die zur Gemeinde stoßen. „Ich bin über das Internet auf die Gemeinde aufmerksam geworden“, sagt Peter, der in Cambridge an einem Umweltprogramm der Vereinten Nationen arbeitet. „Damit hatte ich eigentlich gar nicht gerechnet, aber ist mir wichtig geworden, eine spirituelle Heimat gefunden zu haben.“ „Es ist bei den Jüngeren eine Gemeinde auf Zeit“, so Dallas. „Genauso wie für mich und meine Familie, denn unsere Zeit wird im Sommer ja auch zu Ende gehen“, fügt er hinzu und blickt dabei ein wenig wehmütig über den großen gepflegten englischen Garten, der sich hinter dem großräumigen Pfarr- und Gemeindehaus in Cambridge erstreckt.
Hans-Werner Kögel

 

Pastor Jochen Dallas versteigert die Erntedankgaben in der anglikanischen St. Peter’s Church in Norwich für einen guten Zweck.
Pastor Jochen Dallas versteigert die Erntedankgaben in der anglikanischen St. Peter’s Church in Norwich für einen guten Zweck.
Gottesdienst in der anglikanischen St. Peter’s Church in Norwich.
Erntedank-Gottesdienst in der All Saint’s Church in Bury St. Edmunds.
Teestunde mit Pastor Jochen-Dallas im Garten seines Pfarrhauses in Cambridge, dessen untere Etage auch als Gemeinde- und Gottesdiensträume dienen.
Abendliche Gemeindeversammlung in den Gemeinderäumen in Cambridge.