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Wieso war gerade die Kirche die treibende Kraft der friedlichen Revolution in der DDR vor 25 Jahren? Einen Rückblick gab die Diskussion „Gewagte Demokratie – Politik und Kirchen“ am Donnerstag, 2. Dezember, im Oldenburger Kulturzentrum PFL mit prominent besetztem Podium: Holger Ahäuser, Leiter des NDR-Studios Oldenburg, moderierte die Podiumsdiskussion mit Markus Meckel (markus-meckel.de), Mitbegründer der SPD in der DDR und 1990 Außenminister der DDR, Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags und Niko Paech, Ökonom und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Oldenburg.

Die junge Generation denkt gesamtdeutsch. Was einerseits positiv ist, hat eine negative Begleiterscheinung: Immer weniger junge Menschen setzen sich mit der friedlichen Revolution von 1989 auseinander, interessieren sich für den Mauerfall und die Geschichte des geteilten Deutschlands. „Die Lebensrealität in einer geteilten Stadt, in einem geteilten Land ist für Jugendliche nicht mehr nachvollziehbar“, machte die Kirchenhistorikerin Andrea Strübind von der Universität Oldenburg in ihrem Grußwort deutlich. Gerade aber im Nordwesten Deutschlands – weit weg von der ehemaligen Grenze – habe bis heute eigentlich keine Aufarbeitung stattgefunden. Auch deshalb hatten sich die Universität, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg und das Projekt „Freiheitsraum Reformation“ (www.freiheitsraumreformation.de) gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa für eine Veranstaltung gerade in Oldenburg entschieden.

Niko Paech war der einzige der Gesprächspartner, der in Westdeutschland aufgewachsen ist. Sowohl Ueberschär als auch Meckel haben die friedliche Revolution nicht nur im Fernsehen, sondern mitten im Zentrum miterlebt. Dennoch sieht Paech „die Übermacht der BRD, die sich als Sieger generierte und die Bedingungen diktierte“, durchaus kritisch. „Ich hätte mir gewünscht, dass der Umgang miteinander hier mehr auf Augenhöhe passiert wäre“, sagte er. Die Rolle der kirchlichen Gruppen habe er damals als „Schrittmacher-Funktion“ erlebt, erinnerte er sich.

Es werde oft gesagt, die Bürgerrechtsbewegung habe sich unter dem Dach der Kirche getroffen. Tatsächlich aber sei vieles direkt von der Kirche ausgegangen, sie habe nicht nur Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, war es Markus Meckel wichtig, ein Bild geradezurücken. „Die Kirche war in der DDR ein Ort, wo der Staat nicht unmittelbar eingreifen konnte. Hier konnte man sich versammeln, frei reden, und es war die einzige Institution, in der Posten demokratisch besetzt waren“, betonte er. Das lag auch an der kirchlichen Geschichte – viele der leitenden Kirchenvertreter kamen damals aus dem Bereich der Bekennenden Kirche des Nationalsozialismus (de.wikipedia.org/wiki/Bekennende_Kirche). Sie waren streitbar, mischten sich ein.“ Gleichzeitig erinnerte er daran, dass die evangelische Kirche in der DDR noch bis zum Mauerbau 1961 Teil der EKD war. „Über die Kirche gab es viele Ost-West-Kontakte, hier entstand eine wesentliche Dimension des Bewusstseins der Zusammengehörigkeit.“

Den Aufruf zum Konzil des Friedens, den Carl Friedrich von Weizsäcker auf dem evangelischen Kirchentag in Düsseldorf 1985 (bible-only.org/german/handbuch/Konziliarer_Prozess.html) formuliert hatte, sah Ellen Ueberschär als einen wichtigen Einfluss auf die kirchliche Friedens- und Freiheitsbewegung an. „Immer wieder wird gefragt: Warum haben die Menschen ihre Angst verloren, sich aufzulehnen? So ist es nicht. Sie hatten Angst. Aber sie spürten auch, dass sich in Russland etwas änderte, und nahmen bewusster wahr, dass die Kirche durchaus eine gewisse Macht hatte“, so ihr Eindruck. Damals engagiert in der kirchlichen Jugendarbeit, sei ihr erst im Nachhinein klar geworden, welche Bürgerrechtsgruppen sich parallel zu den Jugendlichen in den Kirchen und Gemeindehäusern getroffen haben. Die Kirchenleitungen seien damals in einer „Sandwichposition“ gewesen, schilderte sie. „Es war klar, dass diese Bewegung richtig hätte ins Auge gehen können. Dann wäre die Freiheit der Kirche mit ziemlicher Sicherheit eingeschränkt worden.“ Dass die katholische Kirche anders als die evangelische ihre Räume nicht für die Friedensbewegung zur Verfügung gestellt habe, sei aus der Unsicherheit heraus gewesen, nicht zu wissen, wohin der Prozess führe. „Sie wollten ihre Gemeinden schützen“, so Ueberschär. Allerdings sei die katholische Kirche insgesamt zurückhaltender gewesen, betonte Markus Meckel. „Sie hat sich überwiegend von den gesellschaftlichen Fragen ferngehalten.“ Er machte noch einmal deutlich, dass die Kraft und Bewegung auch in der evangelischen Kirche mehr von unten als aus den Leitungsfunktionen gekommen sei. „Aktive Christen waren in der DDR eine Minderheit. Und gerade sie spielten plötzlich eine dynamische Rolle in der friedlichen Revolution.“
Anke Brockmeyer

Moderiert von Holger Ahäuser diskutierten Niko Paech, Ellen Ueberschär und Markus Meckel. Die Grußworte sprach Andrea Strübind (von links). Foto: Anke Brockmeyer
Moderiert von Holger Ahäuser diskutierten Niko Paech, Ellen Ueberschär und Markus Meckel. Die Grußworte sprach Andrea Strübind (von links). Foto: Anke Brockmeyer