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Den Christbaum schmücken heutzutage längst nicht mehr nur Kugeln, Lametta und Kerzen. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. In der Corona-Pandemie bevölkern neuerdings auch Weihnachtsmänner mit Masken, Klorollen und Viruskugeln manchen Baum.

 

Göttingen/Bonn (epd). In warmem Rot, schrillem Pink oder Tannennadel-Grün kommen sie daher, auf jeden Fall aber mit den typischen Stacheln, die an Rüssel oder getrocknete Nelkennägel erinnern: Coronaviren als Weihnachtsbaumkugeln gehören sicher zu den ausgefallensten und umstrittensten Schmuckstücken, die an diesem zweiten Corona-Weihnachten am Christbaum hängen.

   

Online oder in manchen Deko-Läden finden sie sich ebenso wie Engel, Kugeln oder Weihnachtsmänner mit Maske. Auch Spritzen und Impfstofffläschchen dienen als Baumanhänger, ebenso wie Desinfekionsmittel-Spender und Klorollen. Die unsichtbare Bedrohung materialisiert sich, sagt die Göttinger Kulturwissenschaftlerin Stefanie Mallon. «Wir können damit dann besser umgehen, sie in den Weihnachtsbaum hängen und so lächerlich machen.» Das sei wie eine Art Ventil für Ängste und Wut angesichts der Umwälzungen, die das Virus mit sich bringe.

   

Der ungewöhnliche Baumschmuck provoziert aber auch Widerspruch. Als im vergangenen Jahr im Bundestag ein riesiger Tannenbaum aufgestellt wurde, der unter anderem mit knallbunten Coronavirus-Kugeln geschmückt war, fanden viele das geschmacklos. Damit würden die Toten der Corona-Pandemie verhöhnt. Erst als erläutert wurde, dass Grundschulkinder den Schmuck selbst gebastelt hätten, weil eben das Virus gerade ihr Leben bestimme, ebbte die Kritik ab.

   

Schon immer sei der Weihnachtsschmuck vom jeweiligen Zeitgeist und einschneidenden Ereignissen mitbestimmt worden, sagt die Historikerin Sandra Müller-Tietz von der Uni Bonn. Der Ursprung des geschmückten Weihnachtsbaums gehe vermutlich auf das 16. Jahrhundert und den deutschsprachigen Raum zurück. Zuerst hätten die Menschen vornehmlich Essbares hineingehängt.

   

Ab dem 18. Jahrhundert seien auf Weihnachtsmärkten Krippenfiguren, Rauschgoldengel, Lametta und Christbaumkugeln als Baumschmuck verkauft worden, erläutert Müller-Tietz. «Um 1900 hatte sich eine breite Vielfalt an Schmuckstücken für den Baum entwickelt - von unterschiedlich verzierten Kugeln über Engel, Sterne, Weihnachtsmänner, Trompeten und Glöckchen bis hin zu U-Booten und Zeppelinen während des Ersten Weltkriegs.» Später habe es auch Christbaumschmuck mit NS-Symbolik gegeben.

   

Heute bleibt in puncto Christbaumschmuck nahezu kein Wunsch unerfüllt. Das Angebot reicht vom Hamburger über die Balletttänzerin und den Kugelfisch bis hin zum VW Käfer. Dass nun die Coronavirus-Kugel mit ihren charakteristischen trompetenartigen Stacheln das Repertoire ergänzt, hätten die Menschen den US-amerikanischen Zentren für Gesundheitskontrolle zu verdanken, erläutert Stefanie Mallon.

   

Die Forscher dort hätten Anfang 2020 «ein Porträt» des Coronavirus beauftragt und damit der nicht sichtbaren, nicht begreifbaren Bedrohung ein «Gesicht» gegeben, sagt die Kulturwissenschaftlerin. «Es ist sehr wichtig, dass wir alle eine gemeinsame Vorstellung davon haben, was dieses Virus wirklich ist.» Das erleichtere es den Menschen, mit Dingen umzugehen, über die sie keine Kontrolle haben. «Ein gemeinsames Bild gibt uns Orientierung und eine gemeinsame Erfahrung.»

   

Die Kulturwissenschaftlerin würde sich selbst keinen Corona-Schmuck in den Baum hängen - zumindest keinen gekauften. Die kommerziellen Produkte seien ihr zu schrill. «Die selbstgebastelten Corona-Kugeln der Schulkinder würde ich aber sehr gerne nehmen!»

   

epd