Die christlichen Werte seien auch als Richtschnur für junge Menschen wichtig, weil sie über gesellschaftliche Normen hinausgingen, betonte der anglikanischen Bischof Dr. Michael Ipgrave aus London am Montagabend, 7. Dezember, beim Adventsempfang der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg. Unsere grundlegenden Werte sind die von Gottes Königreich. Sie geben uns eine Vision, die herausfordernder und bereichernder ist als die Großbritanniens, so Bischof Ipgrave in seinem Gastvortrag in der Oldenburger St.-Lamberti-Kirche.
In seinem Vortrag beleuchtete der Londoner Bischof den christlichen Glauben im europäischen Kontext zu dem Bibelvers Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt (Apostelgeschichte 18,10). Bischof Michael Ipgrave (Bishop of Woolwich, Bischof von London / Southwark) gilt als ausgewiesener Experte im interreligiösen Dialog, insbesondere mit Muslimen.
Citizens and Pilgrims Bürger und Pilger hatte Ipgrave seinen Vortrag überschrieben, und der Gedanke, dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger auch als Pilgerin bzw. Pilger, als Reisende bzw. Reisender sehen soll, zog sich als roter Faden durch seine Rede. Wie definiert sich Christsein heute, in unserer weitgehend säkularisierten Welt? Wie geben Christinnen und Christen ihrem Glauben Profil, und was bedeutet es eigentlich, sich im 21. Jahrhundert als Christin, als Christ zu bezeichnen? Anders als zu Zeiten der Korinther, von denen die Apostelgeschichte erzählt, bezeichne der Begriff Christ heute nicht nur diejenigen, die in ihrer Kirchengemeinde aktiv seien. Sondern er kann auch auf jene Menschen angewandt werden, die sich mit dem Christentum in einer passiven Art identifizieren, machte der Bischof deutlich. Christsein sei eine Identitätsbezeichnung. Viele Menschen möchten sich in positiver Weise mit dem christlichen Erbe identifizieren, mit der Weltanschauung, die unser Land geprägt hat. Das gelte sogar für viele, die einer anderen Glaubensrichtung angehörten, betonte Michael Ipgrave: Beispielsweise wünschen sich viele Muslime, dass ihre Kinder christliche Schulen besuchen.
Diese zwei verschiedenen Arten der Definition die Teilnahme am christlichen Leben und die rein passive Identifikation mit christlichen Werten unterscheide sich sehr von der Vorstellung des Christentums in Korinth. Wie können wir in Anbetracht dessen verstehen, was von uns Christen heute erwartet wird? Wie sollen wir uns den europäischen Gesellschaften von heute gegenüber verhalten?, fragte Ipgrave und kam damit zu seiner These des Bürgers und Pilgers. Er glaube daran, so der anglikanische Bischof, dass europäische Christinnen und Christen heute dazu aufgefordert seien, sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Pilgernde zu sein. Diese beiden Pole des christlichen Lebens gehörten zusammen.
Als Bürger zu leben ist die Basis, auf der wir uns mit unserer Gesellschaft identifizieren. Wenn wir uns als Pilger verstehen, können wir zusammen mit allen, die sich am Rande unserer Gesellschaft befinden oder in den Gesellschaften auf Wanderschaft sind, an der christlichen Gemeinschaft teilnehmen und so unseren Horizont erweitern. Es sei wichtig, beide Aspekte in einer Kirche zu vereinen, mahnte der Bischof. Die Gefahr einer reinen Kirche der Pilgernden sei es, dass sie eine Gemeinschaft der Entwurzelten werden könne, die zum Gemeinwesen nur spärliche Beziehung aufrechterhalte. Eine rein bürgerliche Kirche allerdings berge das Risiko, zu erstarren und nicht mehr bereit zu sein, sich neuen Mitgliedern zu öffnen. Das Gefühl, gleichzeitig verwurzelt und auf der Reise zu sein, erzeuge auf natürliche Weise Empathie und Verständnis für die unterschiedlichen Gruppen im heutigen Europa.
Der Glaube an eine übergeordnete Kraft, an die göttliche Wahrheit und das Ziel des ewigen Lebens vereine Christinnen und Christen sowie Andersgläubige, so Ipgrave und sprach hier konkret von Musliminnen und Muslimen: In unserer gegenwärtigen Situation, die von den Gefahren der Entfremdung, des Misstrauens und der Konflikte belastet ist, haben wir die Verantwortung und die Chance, ein Gespräch zwischen unseren weltlichen Partnern einerseits und unseren muslimischen Partnern andererseits aufrechtzuerhalten.
Bischof Jan Janssen äußerte in seiner Andacht tiefen Respekt angesichts des großen Engagements der Mitarbeitenden in Wohlfahrtsverbänden und Hilfsorganisationen, in kommunalen Behörden, Polizei und medizinischen Diensten für die in Deutschland ankommenden Menschen auf der Flucht. Janssen dankte für alles haupt- und ehrenamtliche Tun in Kirchengemeinden, in sozialen und diakonischen Einrichtungen. Große Anerkennung äußerte er auch für alle Kräfte in der Wirtschaft, die sich den drängenden Themen stellen und hoffentlich ganz und gar uneigennützig mit anpacken.
Bischof Janssen betonte den Wunsch nach einem langem Atem vor allem für den ehrenamtlichen Einsatz in vielfältigen Tatkraft und Fülle an Ideen. Indem hier ein kleines Wunder nach dem anderen geschieht, kann unserer Gesellschaft, wie vor Zeiten auch, etwas Großes gelingen, so Janssen.
Im Anschluss an den Vortrag von Bischof Michael Ipgrave bestand Gelegenheit zu Begegnung und Gesprächen in der St. Lamberti-Kirche. Der alljährliche Adventsempfang der oldenburgischen Kirche wurde musikalisch gestaltet vom Ensemble Concenti NordWest (Jugendchor), dem Jazzchor Kreuzneun sowie Steffen-Ulrich Schöps (Gitarre).
Hier finden Sie den Gastvortrag von Bischof Dr. Michael Ipgrave sowie den Text der Andacht von Bischof Jan Janssen im Format PDF.